Politik Das Lächeln des Sultans

Ein Skandal ist es nicht, aber befremdlich ist die Szene schon. Ein türkischer Journalist, der in Hamburg lebt und eine Internet-Zeitung betreibt, schreitet zu den Fotografen in der vorderen Reihe der Pressekonferenz von Kanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Doch lange steht er dort nicht. Zwei kräftige Sicherheitsbeamte nehmen ihn an den Armen und führen ihn nach hinten. Widerstand zwecklos. „Ich habe doch gar nichts gemacht“, ruft er noch. Regierungssprecher Steffen Seibert rechtfertigt den Rauswurf aus der Pressekonferenz später mit einem Hinweis auf die Regeln des Bundestages. Dort sind „Kundgebungen politischer Anliegen“ verboten. Das Anliegen, das der türkische Journalist hatte: „Freiheit für Journalisten in der Türkei.“ So steht es in Türkisch und Deutsch auf dem T-Shirt, das der Mann wortlos trägt. Der Zwischenfall zeigt, dass man sogar Selbstverständlichkeiten dem türkischen Präsidenten offenbar nicht zumuten darf. Erdogan ist jedenfalls amüsiert. Der kurzzeitige Wirbel und die Reaktion der deutschen Gastgeber scheinen ihm zu gefallen. Man kann nicht nur sein Lächeln sehen, sondern über die Lautsprecheranlage auch sein leises Lachen hören. Bedrückender als der Rauswurf des Journalisten ist jedoch die Konsequenz, die der türkische Journalist Can Dündar gezogen hat. Dündar war Chefredakteur der regimekritischen Zeitung „Cumhuriyet“. Seit Sommer 2016 lebt er in Deutschland im Exil, nachdem er in seiner Heimat wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Seine Frau ist noch in der Türkei. Dündar war für die Pressekonferenz Erdogans und Merkels vom Bundespresseamt akkreditiert worden, verzichtete aber auf eine Teilnahme. Ihm war zu Ohren gekommen, dass Erdogan gedroht habe, die Pressekonferenz platzen zu lassen, wenn Dündar dabei sei. Die Fragen, die er stellen wolle, werde stattdessen ein deutscher Journalist stellen, hatte Dündar angekündigt. Tatsächlich wird Erdogan auf den Fall angesprochen. Der türkische Präsident ist knallhart: Der Exil-Türke sei ein „Agent“, er sei wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen zu einer Haftstrafe verurteilt worden und geflohen. Dies sei eine Straftat. Zuvor war bekannt geworden, dass die türkischen Behörden Deutschland ein Auslieferungsersuchen mit knapp 70 Namen von „Terror-Verdächtigen“ übersandt hatten. Darauf stehen auch Dündars Name sowie die Namen militanter Kurden und Linksextremisten sowie von Menschen, denen in der Türkei eine Verbindung zu dem im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen nachgesagt wird. Der soll nach Erdogans Ansicht den Putschversuch in der Türkei vor zwei Jahren gesteuert haben. Kanzlerin Merkel hat es nicht leicht in dieser Pressekonferenz. Es ist eine Gratwanderung. Zum einen will sie die Bedeutung der Türkei für Europa – vor allem in Flüchtlings- und Sicherheitsfragen – unterstreichen, zum anderen wird von ihr erwartet, dem Gast klar zu machen, dass Deutschland die Rechtsstaatlichkeit der Türkei stark anzweifelt. So reihen sich Lob und Kritik aneinander und bilden eine Kette von Widersprüchen. Im Fall Dündar beispielsweise lässt Merkel keinen Zweifel, dass beide Länder in einer „Kontroverse“ stehen. „Tiefgreifend“ seien die Differenzen im Allgemeinen, fährt Merkel überraschend deutlich fort. Dennoch sei es wichtig, miteinander zu reden. „Denn es gibt vieles, was uns eint.“ Erdogan, der sich gerne als „Sultan“ dargestellt sieht, hört den letzten Satz mit sichtlichem Wohlwollen. Dass der türkische Präsident außer im Fall der umstrittenen Auslieferungsliste lammfromm daherkommt, hat natürlich Gründe. Die Türkei steht wirtschaftlich unter Druck, die Währung Lira ist im Sinkflug, und die US-Sanktionen wegen eines in der Türkei unter Hausarrest stehenden US-Pastors machen dem Land zu schaffen. Erdogan braucht Deutschland als Partner, damit die EU die Zollunion ausweitet. Als Gegenleistung wirft Erdogan den Flüchtlingspakt in die Waagschale, der Flüchtlinge aus Syrien davon abhalten soll, in die EU einzuwandern. Diese Themen werden bei der Pressekonferenz nur am Rande gestreift, doch sie schweben über allem. Dass Deutschland dem Gast aus der Türkei den roten Teppich ausrollt und noch dazu Sicherheitsvorkehrungen walten lässt wie beim Besuch eines US-Präsidenten, dürfte Erdogan gefallen haben. Der türkische Präsident sieht im Gegenzug eine Stadt ohne Bürger, da das Berliner Regierungsviertel durch weiträumige Sperrungen entvölkert ist. So wird er auch nicht mitbekommen, dass gestern am Rand der Innenstadt zehn Kundgebungen von Erdogan-Gegnern stattfinden. Allerdings wird der Staatsgast am Abend beim Staatsbankett in Schloss Bellevue nicht nur Nettigkeiten hören. In der vorab verbreiteten Tischrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mangelt es nicht an Mahnungen gegenüber der Türkei. Allein der Umgang mit Journalisten gebiete es, „nicht zur Tagesordnung überzugehen“, heißt es im Redetext.

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