Leitartikel Der Erbe des Pariser Schuldenbergs

Misstrauensvotum überstanden: Michel Barnier.
Misstrauensvotum überstanden: Michel Barnier.

Schon bevor Frankreichs neuer Premier seinen Haushaltsentwurf überhaupt vorstellen kann, regt sich massiver Widerstand gegen seine Sparpläne.

Zumindest eine Hürde hat Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier am Dienstag, eine Woche nach seiner Regierungserklärung, jetzt überwunden: Der Misstrauensantrag des links-grünen Parteienbündnisses in der Nationalversammlung erzielte keine Mehrheit, da der rechtsextreme Rassemblement National (RN) sich nicht anschloss. Sie werde die Regierung erst auf Basis ihrer Politik bewerten und das Land „nicht ins Chaos stürzen“, versicherte RN-Fraktionschefin Marine Le Pen, die damit zugleich klar machte: Sie könnte jederzeit den Daumen senken und gemeinsam mit den Linken Barniers politisches Ende besiegeln.

Die nächste Schwierigkeit für den Premier folgt bereits am heutigen Donnerstag, wenn der 73-Jährige seinen Haushaltsentwurf vorstellt und einen harten Sparkurs einleiten wird. Das muss er, denn um die Staatsfinanzen ist es schlecht bestellt. Die EU-Kommission hat ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen sind gestiegen, sogar Portugal und Spanien können sich günstiger am Kapitalmarkt verschulden.

Land lebte über seine Verhältnisse

Seit Jahrzehnten lebt das Land über seine Verhältnisse, unter Präsident Emmanuel Macron – dem einstigen Investmentbanker und Wirtschaftsminister, der als „Mozart der Finanzen“ gerühmt wurde – erreichte der Schuldenberg nie gekannte Höhen. Er beläuft sich inzwischen auf 3328 Milliarden Euro, das sind 112 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Zinsen dafür sind mit mehr als 50 Milliarden Euro der zweithöchste Posten im Haushalt.

Der Élysée-Palast rechtfertigt die desaströse Lage mit der Aufeinanderfolge diverser Krisen. Doch damit waren auch die anderen EU-Länder konfrontiert. Tatsächlich hat sich Macron immer wieder sozialen Frieden erkauft, angefangen bei der Revolte der „Gelbwesten“, die er mit Milliarden-Zusagen besänftigte, über großzügige Hilfen während der Corona-Pandemie bis hin zur massiven Deckelung der Energiepreise. Das Ausmaß des Finanzlochs wurde lange nicht ehrlich kommuniziert, schließlich standen im Juni EU-Wahlen an, bei denen das Präsidentenlager trotzdem einbrach.

Schmerzhaftes Erwachen

Umso schmerzhafter ist das Aufwachen. Die Neuverschuldung, die in diesem Jahr sechs Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen wird, soll laut Barniers Plan 2025 auf fünf Prozent gedrückt werden und erst 2029 wieder unter drei Prozent gemäß den Maastricht-Kriterien der EU liegen. Um das Finanzziel zu erreichen, sieht der Regierungschef Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 40 beziehungsweise 20 Milliarden Euro vor. Davon betroffen sein sollen in erster Linie die 65.000 reichsten Franzosen und die 300 umsatzstärksten Konzerne.

Doch noch bevor die Details bekannt sind, rufen schon die Ersten, das sie nicht mitmachen. Sollte keine Mehrheit im Parlament zustande kommen, könnte Barnier dieses mit dem Sonderartikel 49.3 durchsetzen. Dann droht allerdings der nächste Misstrauensantrag. Seine Regierung ist die fragilste in der jüngeren Geschichte Frankreichs. Der frühere Brexit-Chefunterhändler für die EU wird viel Verhandlungsgeschick brauchen bei dem Balanceakt, der ihm bevorsteht. Dieser kann jederzeit brutal enden – mit unkalkulierbaren Folgen für das Land.

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