Politik Der Regelmensch

Auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag sitzen sie häufig nebeneinander, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD), erste Reihe, ganz links. Aus der Ferne beobachtet gehen sie freundlich miteinander um. Zwei Generationen Seit’ an Seit’. Als Nahles noch die Realschulbank in Mayen drückte, saß Schäuble schon im Bundeskabinett in Bonn. Wolfgang Schäuble ist eine Konstante in der jüngeren deutschen Politikgeschichte. Seit 1972 sitzt er im Bundestag. 19 Jahre lang war er Bundesminister in verschiedenen Ressorts. Es ist ein großes Wort, aber in diesem Fall trifft es zu: Schäuble hat die Republik in dieser Zeit maßgeblich mitgestaltet. Der Badener war bundesdeutscher Verhandlungsführer für den Einigungsvertrag, der Ende August 1990 vom Bundestag und der DDR-Volkskammer angenommen wurde. Er hat die Islamkonferenz ins Leben gerufen. Möglicherweise konnte nur ein Konservativer den Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen institutionalisieren. Warum? Weil Schäuble nicht im Ruf steht, dem Zeitgeist naiv hinterherzuhecheln. Schäuble hat bei der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise eine entscheidende Rolle gespielt, wenn auch nicht immer eine glückliche. Sein im Juli 2015 am Rande eines europäischen Finanzministertreffens in Brüssel vermutlich gezielt an die Öffentlichkeit durchgestochener „Grexit-Plan“ – zeitweises Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone – hat Verbitterung und offene Feindseligkeit gegenüber Deutschland in Teilen Europas ausgelöst. Die Zukunft der EU stand auf dem Spiel. Er ist als erster Bundesfinanzminister seit Jahrzehnten eine ganze Legislaturperiode lang mit dem Geld ausgekommen, das er eingenommen hat. Schäuble hat Schluss gemacht mit der ewigen Schuldenmacherei. Ein Spitzenpolitiker muss offenbar haben, was Schäuble einst als „Sehnsucht ins Gelingen“ beschrieben hat. Den Willen, Kanzler zu werden, hatte er wohl. Auch hatte ihn Helmut Kohl 1997 zum Kronprinzen ausgerufen hat. Aber die CDU-Spendenaffäre hat Schäuble den Weg ins Kanzleramt versperrt. Das Verhältnis zu Kohl war am Ende zerrüttet. Es gibt nicht wenige, die Schäuble beschreiben als den besten Bundeskanzler, den das Land nie hatte. Auch als Bundespräsident war er mehrfach im Gespräch – Angela Merkel hatte andere Ideen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Schäuble auch dem neuen Bundestag angehören – und ihn als Alterspräsident eröffnen. Ob er auch der kommenden Bundesregierung angehört? Es gibt viel Gerede. Manche sehen ihn als Nachfolger des ausscheidenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, immerhin zweiter Mann im Staat. Wahrscheinlicher aber ist, dass sich Schäuble einen Posten in einer wie auch immer gearteten Regierung Merkel aussuchen kann, wie schon 2013. Vorausgesetzt natürlich, CDU/CSU stellen die stärkste Fraktion. Schäuble versteht sich als einer, der diesem Staat gerne dient. Er glaubt fest daran, dass das Gemeinwesen nur nach klaren Regeln funktionieren kann. Wer die Regeln verletzt, muss bei Schäuble mit Härte rechnen. Er kann anderen seine Überlegenheit spüren lassen. Nicht polternd, sondern schneidend, auch verletzend. In den vergangenen Jahren umweht den Mann im Rollstuhl allerdings ein Hauch von Altersmilde. Vielleicht kann er auch deshalb so gut mit Andrea Nahles auf der Regierungsbank, erste Reihe, ganz links. Wolfgang Schäuble wird heute 75 Jahre alt.

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