Leitartikel Die Fronten verhärten sich

 Seoul: In einer Nachrichtensendung auf einem Fernsehbildschirm am Bahnhof sind Soldaten zu sehen, die vermutlich aus Nordkorea
Seoul: In einer Nachrichtensendung auf einem Fernsehbildschirm am Bahnhof sind Soldaten zu sehen, die vermutlich aus Nordkorea stammen und bereitstehen, um Nachschub aus Russland zu erhalten.

Der Ukraine-Krieg hat Ostasien erreicht. Die Achse Moskau-Pjöngjang lässt Südkorea näher an die Ukraine rücken.

Bei der jüngsten Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Montag in New York sorgten Geheimdienst-Berichte über nordkoreanische Soldaten in Russland für Verunsicherung. „Wenn sie stimmen, ist dies eine gefährliche und höchst besorgniserregende Entwicklung“, stellte der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter Robert Wood fest. Bemerkenswert ist, dass die US-Regierung bislang sonst nach wie vor nur im Konjunktiv über die Anschuldigungen spricht.

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol hingegen behandelt sie längst als gesichertes Faktum. Schließlich stammen die Informationen größtenteils vom heimischen Nachrichtendienst, untermauert durch Satellitenfotos und mit einer eigens entwickelte Gesichtserkennungssoftware erhärtet. Dass Südkorea das Thema derart aggressiv thematisiert, liegt auf der Hand: Für Seoul würde eine Beteiligung nordkoreanischer Soldaten im Ukraine-Krieg eine beispiellose Eskalation darstellen – vor allem auch, weil die Regierung diesen Schritt in der Vergangenheit klar als „rote Linie“ definiert hat. Nun haben sich Russland und Nordkorea offenbar dazu entschieden, diese zu überschreiten.

Man werde „schrittweise Maßnahmen“ ergreifen, hieß es am Dienstag in einer ersten Reaktion vom Präsidentenbüro in Seoul. Was jene Maßnahmen genau beinhalten, lässt Südkorea bislang vage. Doch die Nachrichtenagentur Yonhap berichtet – unter Berufung auf Regierungskreise –, dass nun sämtliche Optionen offen stünden: Möglich wäre, dass Südkorea mehrere Beobachter in die Ukraine entsenden wird, um die Aktivitäten nordkoreanischer Soldaten im Blick zu behalten. Ebenfalls könnte die Regierung künftig ihre Position bezüglich direkter Waffenlieferungen an die Ukraine überdenken. Bislang hat das Land aus Angst vor einer Eskalation des Konflikts keine tödlichen Waffen nach Kiew geliefert. Jene Zurückhaltung galt jedoch nur, solange sich auch Pjöngjang heraushält.

Dynamik ist unübersehbar

Tatsächlich scheint es, als ob die „Waffenbrüderschaft“ zwischen Moskau und Pjöngjang den Ukraine-Krieg endgültig in Ostasien ankommen lässt. Die Dynamik ist unübersehbar: Auf der einen Seite rücken Japan und Südkorea zusammen und kooperieren enger mit der Nato als je zuvor. Auf der anderen Seite haben die autokratischen Regimes in Moskau, Pjöngjang und Peking ihrerseits ihren Bund gefestigt. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Volksrepublik China bislang auffällig stumm bleibt. Doch letztlich hat Putins Angriffskrieg dafür gesorgt, dass sich die Blockbildung zwischen liberalen Demokratien und autoritären Staaten rasant beschleunigt.

Südkoreas Außenministerium hat beim russischen Botschafter in Seoul einen sofortigen Abzug der nordkoreanischen Soldaten verlangt. Interessanterweise stritt dieser die Anschuldigungen keineswegs ab, sondern verwies lediglich darauf, dass die militärische Kooperation mit Nordkorea im Rahmen des Völkerrechts erfolge. Und nur wenige Stunden später stellte das nordkoreanische Regime unverhohlen seine Feindseligkeit zur Schau: Kim Yo Jong, Schwester von Diktator Kim Jong Un, bezeichnete die Ukraine und Südkorea als „böse, von den USA gezüchtete Hunde“.

Fabian Kretschmer berichtetals Korrespondentaus Ostasien
Fabian Kretschmer berichtetals Korrespondentaus Ostasien
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