Meinung Dreyers Rücktritt: Ein selbstbestimmter Abgang

Entscheidet selbst über den Zeitpunkt ihres Abschieds: Malu Dreyer.
Entscheidet selbst über den Zeitpunkt ihres Abschieds: Malu Dreyer.

Malu Dreyer gelingt, was vielen Spitzenpolitikern versagt bleibt: Sie entscheidet selbst über den Zeitpunkt, wann sie ihr Amt als Ministerpräsidentin aufgibt.

Selbstbestimmung ist ein hohes Gut, insbesondere für Spitzenpolitiker bei ihrem Abschied. Den wenigsten gelingt es, sich zurückzuziehen, bevor der politische Gegner – sei es aus der eigenen oder einer anderen Partei – zum Sturz ruft. Die Ruhestand-Residenz ist daher prall gefüllt mit Menschen, die sich für unersetzlich hielten.

Malu Dreyer verlässt die Staatskanzlei, bevor allzu großer Druck entsteht. Sie hält sich nicht für unersetzlich. Dreyer folgt dem Leitsatz, den sich Wolfgang Schäuble im Laufe seiner Karriere gegeben hat: „Respice finem, bedenke das Ende.“ Den Schlussakkord setzt sie selbst – und überrascht damit.

Nicht mit ihrem Rückzug vom Amt. Das war für Beobachter des politischen Mainz immer ein Szenario. Aber mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung, die Dreyer wohl schon vor vielen Wochen mit ihrem Mann getroffen hat.

Malu Dreyer bringt bei ihrem Abschied ihre größte Stärke ein: ihren Machtinstinkt. Sie hat erkannt, dass es für ihre Partei Zeit ist für einen personellen und inhaltlichen Neuanfang. Zur Hälfte der Legislatur, noch vor der offiziellen Neuaufstellung der CDU, kurz vor dem dritten Jahrestag der Flutkatastrophe. Sie bereitet die Bühne für einen, der nicht zu ihren engsten Vertrauten gehört, aber die größten Chancen hat, die SPD an der Macht zu halten: den in Land und Partei bekannten und anerkannten Alexander Schweitzer.

Der künftige Ministerpräsident hat nun ausreichend Zeit, seiner Partei ein Profil zu verpassen, dem Land zu erklären, wofür moderne Sozialdemokratie in Rheinland-Pfalz steht. Für die Sozialdemokraten ist das bei aller Beliebtheit von Malu Dreyer ein Befreiungsschlag. Bei Schweitzer steht nicht nur der Politiker, sondern auch die Politik im Vordergrund. Er trägt keine politischen Altlasten wie die Flutkatastrophe mit sich. Malu Dreyer hatte die politischen Debatten danach überstanden, aber Narben davongetragen. Gemeinsam mit der künftigen SPD-Chefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler kann Schweitzer daran arbeiten, Mainz und die Fläche näher zusammenzubringen, Fraktion und Partei auf einen gemeinsamen Weg einzuschwören.

Die Personalrochade in Staatskanzlei und Parteiführung hat neben den Gewinnern Dreyer, Schweitzer und Bätzing-Lichtenthäler auch einen eindeutigen Verlierer: Michael Ebling. Als Innenminister und Intimus der Ministerpräsidentin ist er in einer schwierigen Zeit ins Amt gekommen.

Wegen der Patzer bei der Aufklärung der Flutkatastrophe musste sein Vorgänger Roger Lewentz gehen. Ebling hatte viel aufzuräumen. Er selbst und viele andere sind davon ausgegangen, dass er mit der Nachfolge der Ministerpräsidentin belohnt wird. Dem ist nicht so, weil Dreyer den maximalen Erfolg für ihre SPD möchte. Ein Wahlkampf Michael Ebling (SPD) gegen Gordon Schnieder (CDU) hätte wenige Wähler vom Hocker gerissen. Schweitzer hingegen kann Unterschiede sichtbar machen – wenn es ihm gelingt, inhaltliche Debatten innerhalb der Partei zu entfachen. So wie es zuletzt seinem politischen Ziehvater, dessen Foto Schweitzers WhatsApp-Account ziert, gelungen ist: Kurt Beck. Auch Beck war bei seinem Abschied Schäubles Credo gefolgt. Der Ausgang ist bekannt.

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