Politik Eine menschliche Chiffriermaschine

Es ist nicht ganz einfach, ein Interview mit Thomas Begay zu führen. Nicht dass man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen müsste. Im Gegenteil, der Mann hat viel zu erzählen. Aber während wir reden auf der Plaza von Santa Fé, der Hauptstadt des US-Bundesstaats New Mexico, vergeht keine Minute, in der Thomas Begay nicht irgendeine Hand schütteln soll. Ständig kommt jemand, der ihm danken will für seinen Dienst beim Militär. „Thank you for your service, Sir!“ Nun stehen Menschen in Uniform generell ziemlich hoch im Kurs in den Vereinigten Staaten. Egal, wie unpopulär die jüngsten Aktionen amerikanischer Militärmacht auch gewesen sein mögen, der Krieg in Irak, der in Afghanistan. Und Begay trägt nicht nur ein Uniformhemd in kräftigem Gelb, er trägt auch eine silberne Tapferkeitsmedaille, eingefasst von türkisblauen Steinen. Dazu eine feuerwehrrote Mütze, auf der in Goldlettern steht, dass er die Schlacht um die japanische Pazifikinsel Iwo Jima überlebt hat. Mit dem Einsatz im Zweiten Weltkrieg gehört er zu einer Generation, der sie zwischen Miami und Seattle allenthalben Bewunderung entgegenbringen. „The Greatest Generation“: Der Begriff sagt ja schon alles. Hinzu kommt, dass Begay, 92 Jahre alt, einer der letzten noch lebenden Codetalker ist. Einer der Letzten von rund 400 Navajo-Indianern, die sich in einem auf ihrer Sprache aufbauenden Geheimcode verständigten, den niemand je knacken konnte. 1941, nachdem Japan den Flottenstützpunkt Pearl Harbor angegriffen hatte und die USA dem Kaiserreich den Krieg erklärt hatten, stand die amerikanische Generalität vor einem Problem. In kürzester Zeit dechiffrierten die Japaner sämtliche verschlüsselten Botschaften. Dann kam ein Missionarssohn namens Philip Johnston – er lebte lange in einem Indianerreservat – auf die Idee, sich des Vokabulars der Navajo zu bedienen. Begay, der damit aufgewachsen war und erst in der Schule Englisch lernte, wo er dann übrigens nur noch Englisch sprechen durfte, war einer der Funker, ohne die Johnstons Einfall graue Theorie geblieben wäre. Begonnen hat es im Frühjahr 1942 mit 29 Navajos, die man im kalifornischen San Diego an dem geheimen Projekt arbeiten ließ. Ein Kriegsschiff nannten sie lo-tso (Wal), ein U-Boot besh-lo (Eisenschiff), besh-be-cha-he stand für Deutschland, ni-ma-si (Kartoffel) für Handgranate. Erst 1968, dies nur als Fußnote, wurde der Schleier des Geheimnisses gelüftet, bis dahin hatten sie eisern zu schweigen. Von alledem erzählt Begay, kerzengerade, das Kreuz durchgedrückt, ohne sich auch nur einmal zu setzen. Aufgewachsen in Two Wells, einem Weiler in der trockenen Hochebene New Mexicos, unterschrieb er 1942 bei der Marineinfanterie. Genauer: Da er erst 16 war, musste seine Mutter ihren Daumenabdruck auf das Papier setzen. Aus dem Krieg zurückgekehrt, durfte er nach wie vor nicht wählen, denn erst 1948 gestand New Mexico Ureinwohnern volles Wahlrecht zu. Dazwischen lag eine Schlacht, der sie in Amerika markante Denkmäler widmen, die Schlacht um Iwo Jima. Johnny Cash hat den daran beteiligten Indianern eine bittere Ballade gewidmet: Sie handelt von Ira Hayes, einem Stammesangehörigen der Pima, der auf einem Berggipfel der Pazifikinsel das Sternenbanner hisste, um später in seiner Heimat in Elend und Alkohol zu versinken. Und auch wenn Thomas Begay von Iwo Jima erzählt, fehlt jedes Heldenpathos. „Ich hatte Angst. Wahnsinnige Angst. Mein Körper war klamm, ich fühlte nichts. Eigentlich bist du ganz allein mit dir, während jemand versucht, dich zu töten.“ Nach der Landung am 19. Februar 1945 habe sein Trupp binnen 48 Stunden mehr als 800 Nachrichten abgesetzt, „und keine einzige war falsch“. Wurde Begay ein Zettel mit einem Funkspruch auf Englisch gereicht, übersetzte er ihn in seine Sprache. Der Navajo, der die Botschaft empfing, übertrug sie zurück ins Englische. „Wir waren menschliche Chiffriermaschinen, nur dass es bei uns sehr viel schneller ging als an einer Maschine.“ Anfangs, erinnert sich Begay, habe die Armee gründlich nachgeforscht, ob es in Japan oder Deutschland Anthropologen gab, die sein Volk studiert hatten und dessen Sprache verstanden. Fehlanzeige. Damit kamen die Navajos überhaupt erst ins Spiel. Als Begay Ende der Sechziger erstmals Farbe bekennen durfte, begann er mit seinen Kameraden um öffentliche Anerkennung zu kämpfen. In einer Ledermappe hat der alte Mann seine Geschichte archiviert. Urkunden, Briefe, Zeitungsartikel. Und Fotos. Begay mit Al Gore, dem Vizepräsidenten unter Bill Clinton, Begay bei einer Rede vor dem Kongress, der ihn 2001 mit einer Medaille ehrte, Begay neben Donald Trump. Dem gab er im Weißen Haus seine Visitenkarte, die Trump in die Kameras hielt wie eine Trophäe. Seit Jahren kämpft Thomas Begay für ein nationales Museum, das die unglaubliche Geschichte der Codetalker würdigt. Sein letztes Gefecht.

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