Politik Ende der Zollunion würde türkische Wirtschaft hart treffen

Die scharfen Türkei-Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausforderer Martin Schulz im TV-Duell haben die Debatte um den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara befeuert. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert will Merkel das Thema beim nächsten EU-Gipfel im Oktober besprechen. Die Bundeskanzlerin favorisiert wirtschaftlichen Druck.

Wie viel Geld bekommt die Türkei als EU-Beitrittskandidat?

Von 2014 bis 2020 sind an sogenannten Heranführungsbeihilfen 4,5 Milliarden Euro aus Brüssel für die Türkei vorgesehen. Die Mittel sind dafür gedacht, die Türkei an die Standards der EU heranzuführen und so für den Beitritt zur Gemeinschaft zu ertüchtigen. So sind zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Respekt der Menschenrechte Zahlungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro eingeplant. Weitere 1,5 Milliarden sollen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung im Land stärken. Für den Agrarbereich und die ländliche Entwicklung sind 912 Millionen Euro vorgesehen. Das Geld fließt aber ohnehin in letzter Zeit nicht so richtig. Von den 4,5 Milliarden Euro sind bislang erst rund 250 Millionen Euro ausgezahlt. Hintergrund sind die zunehmenden Spannungen zwischen der EU und der Türkei. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat erklärt, dass die Beihilfen nur dann komplett gestoppt werden können, wenn die Mitgliedstaaten die Beitrittsverhandlungen förmlich aussetzen oder ganz abbrechen. Wie viel Geld bekommt die Türkei an Darlehen? Die Europäische Investitionsbank (EIB) vergibt seit 2007 jedes Jahr Kredite in die Türkei im Volumen von über zwei Milliarden Euro. 2016 bekam kein Land außerhalb der EU mehr Geld aus Luxemburg als die Türkei. So finanzierte etwa die Förderbank der EU zuletzt eine Hochgeschwindigkeitszugtrasse von Istanbul nach Ankara sowie einen Tunnel unter dem Bosporus. Wenn die EIB ihr Kreditgeschäft mit der Türkei einstellen oder einschränken würde, so dürfte dies die wirtschaftliche Entwicklung im Land schwer beeinträchtigen. Bevor es so weit kommt, bedarf es aber einer Grundsatz-Entscheidung durch die EU-Mitgliedstaaten. Merkel hat sich gegen die Ausweitung der Zollunion zwischen Türkei und EU ausgesprochen. Was steckt dahinter? Seit Jahren gibt es keine Beschränkungen beim Export und Import von vielen Waren, auch Zölle werden bei vielen Produkten nicht erhoben. Von der Zollunion sind aber bislang alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse sowie Kohl- und Stahlprodukte ausgenommen. Über die Ausweitung der Zollunion sollte verhandelt werden. Diese Gespräche sind aber vom Tisch. Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Türkei. 40 Prozent seines Außenhandels bestreitet das Land mit der EU. Eine Aufkündigung der Zollunion würde die Wirtschaft so hart treffen wie förmliche Sanktionen. Wie reagiert Brüssel auf den Vorstoß aus Berlin, die Beitrittsverhandlungen abzubrechen? Reserviert. Ein Kommissionssprecher verweist auf eine Äußerung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus der Vorwoche. Juncker hatte gewarnt, die „Türkei entfernt sich mit Riesenschritten von der EU“. Und weiter: Die „türkische Regierung macht eine Mitgliedschaft des Landes in der EU unmöglich“. Juncker hat allerdings davon abgeraten, dass die EU aktiv die Verhandlungen abbricht. Erdogan würde versuchen, daraus innenpolitisch Kapital zu schlagen.

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