Politik Fiskus? Nein danke!

Baustelle Deutschland (1): Steuern als Wahlkampfthema, das übliche Dilemma - irgendwer muss zahlen.

Wer nach einer Bundestagswahl die Regierung anführen will, muss im Wahlkampf zwingend Aussagen zur Steuerpolitik machen. Wenig überraschend: Ein bisschen wollen alle Parteien an der Lohnsteuerschraube drehen, vor allem zugunsten unterer Einkommen. Indes: Ist die Fixierung auf die Lohnsteuer noch zielführend? Glückliches Deutschland! Als eines der wenigen europäischen Länder macht die Bundesrepublik keine neuen Schulden mehr, zumindest auf Bundesebene nicht. Unter Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist es während der gesamten inzwischen fast abgelaufenen Legislaturperiode gelungen, Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ohne den zuvor jahrzehntelang üblichen Griff in den Kredittopf. Zur Erinnerung: Im Jahr 2010 musste der damalige Bundesfinanzminister Per Steinbrück (SPD) aufgrund der globalen Finanzkrise noch mehr als 80 Milliarden Euro Schulden machen, um den Bundesetat auszugleichen. Die Steuereinnahmen sind üppig – und sie steigen Jahr für Jahr. Flossen im Jahr 2014 noch knapp 271 Milliarden Euro in Wolfgang Schäubles Kasse, werden es in diesem Jahr vermutlich über 300 Milliarden Euro sein. Die gute Kassenlage hat auch dazu geführt, dass die gesamtstaatliche Schuldenquote von 77,5 Prozent (2011) auf 68 Prozent im vergangenen Jahr zurückgegangen ist. In der EU erlaubt sind 60 Prozent. Das ist nicht allein Schäubles Verdienst. Er erntet die Früchte von Gerhard Schröders (SPD) Arbeitsmarkt- und Sozialreformen. Ferner: Die Zinsen sind seit Langem auf einem historischen Tiefstand. Der Euro war im Vergleich zu namhaften anderen Währungen, beispielsweise dem Dollar, lange Zeit unterbewertet. Das förderte Ausfuhren deutscher Produkte. Der Leistungsbilanzüberschuss stieg im vergangenen Jahr um 8,8 Prozent gegenüber 2015. Volle Kassen wecken Umverteilungsinstinkte bei den Parteien. Ob CDU, SPD, CSU, Grüne, Linke oder AfD – sie alle wollen an der Lohnsteuerschraube drehen, zugunsten der unteren Einkommen (siehe „Zur Sache“). Woher kommt diese Fixierung auf die Lohnsteuer? Vermutlich weil die Parteien glauben, Bürger würden die steuerliche Last am ehesten vom Lohnzettel ablesen können. Wer also Erleichterungen verspricht, dem könnte die Gunst des Wahlbürgers zufliegen, so das Kalkül. Dabei ist die Lohnsteuer nur eine von vielen Steuerarten. Und sie trägt zu Schäubles Einnahmen vergleichsweise wenig bei: in diesem Jahr nur gut 23 Prozent (Prognose). Von ganz anderem Kaliber sind da die indirekten Steuern. Mehrwert-, Energie-, Versicherungs-, Einfuhrumsatz-, Branntwein-, Schaumwein-, Tabak-, Alkopop-, Kaffee-, Luftverkehrsteuer – Finanzminister jeder Couleur sind beim Erfinden von Steuern überaus kreativ. Allein die Umsatzsteuer brachte Bund, Länder und Gemeinden im vergangenen Jahr 217 Milliarden Euro. Die indirekten Steuern werden 2017 knapp 48 Prozent der Bundeseinnahmen ausmachen, so die Prognose. Vor diesem Hintergrund muten die Auseinandersetzungen über die neue Pkw-Maut mit Einnahmen von geschätzt 520 Millionen Euro pro Jahr fast schon skurril an. Ebenso die politischen Glaubenskriege über Sinn oder Unsinn des ungeliebten Solidaritätszuschlags. Der wird in diesem Jahr knapp 17 Milliarden Euro zum Bundeshaushalt beitragen (Prognose). Es wäre den Schweiß der politisch Edlen wert, den Wildwuchs bei den indirekten Steuern zu lichten. Wem dient die Versicherungssteuer (außer dem Finanzministerium)? Bei der Mehrwertsteuer gibt es listenweise Absurditäten. Sie machen sogar vor Schweineohren nicht halt. Sind sie getrocknet und genießbar, werden sieben Prozent erhoben. Sind sie zwar getrocknet, aber ungenießbar, greift der volle Satz in Höhe von 19 Prozent. Internationale Steuerregelungen sind eine weitere zunehmend wichtige Baustelle der Zukunft. Der globalisierten Wirtschaft ist kaum noch mit nationaler Gesetzgebung beizukommen. Die politischen Klagen über das Steuergebaren von multinationalen Konzernen wie Google, Amazon oder Starbucks füllen inzwischen mehrere Meter Aktenordner. Die US-amerikanische Kaffeehauskette Starbucks etwa, so die Ermittlungen der EU-Kommission, hat durch ein kompliziertes Geflecht von Firmen an mehreren europäischen Standorten sowie durch Gewinnverschiebungen die Steuerlast verwässert. Die US-Kaffeerösterei in den Niederlanden hat beispielsweise hohe Lizenzgebühren für Know-how an eine Gesellschaft mit Sitz in Großbritannien gezahlt. Doch diese Gesellschaft, so ergaben die EU-Recherchen, musste weder in Großbritannien noch in den Niederlanden Körperschaftsteuer zahlen. Derartige Steueroptimierungsmodelle gibt es viele. Mit der Folge, dass zwar jedes Café oder Bistro um die Ecke Gewinne versteuern muss, Starbucks aber weitgehend unbehelligt bleibt vom Fiskus. Immerhin hat sich die EU-Kommission der Sache längst angenommen. Doch die Aufklärung ist langwierig und mühsam. Auch die Finanzminister auf EU- oder G-20-Ebene sind tätig. So ist beispielsweise im Juni eine Vereinbarung zwischen 70 Ländern bei der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) in Paris unterzeichnet worden. In diesem Abkommen werden steuerliche Schlupflöcher in den Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Diese Art der Zusammenarbeit wird es in Zukunft verstärkt geben müssen.

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