Interview Forscher: Junge Leute neigen jetzt zu nationalistischen Lösungen

Mitglieder der Jungen Alternative, der Nachwuchsorganisation der AfD, auf einer Wahlkampfveranstaltung in Cottbus. Laut Verfassu
Mitglieder der Jungen Alternative, der Nachwuchsorganisation der AfD, auf einer Wahlkampfveranstaltung in Cottbus. Laut Verfassungsschutz ist sie »gesichert rechtsextremistisch«.

Auch in Brandenburg hat die Alternative für Deutschland zugelegt – besonders bei den jüngeren Wählern. Warum eigentlich?, fragt Wolfgang Blatz Deutschlands bekanntesten Jugendforscher, Klaus Hurrelmann. Der Soziologe führt mehrere Gründe dafür an. Einer davon ist Protest – bloß geht der im Gegensatz zu früher in die andere Richtung.

Auch die Wahl in Brandenburg hat gezeigt: Bei den Wählern unter 40 Jahren liegt die AfD vorn. Hat die AfD-Führung recht, wenn sie sagt, ihre Partei sei deswegen die Partei der Zukunft. Oder ist das Ganze nur eine Momentaufnahme?
Die jungen Wähler und Erstwähler votieren spontan. Nach den Studien der vergangenen Jahre, die wir gemacht haben, gehen sie sozusagen urdemokratisch vor: Sie vergleichen die Themen und Probleme, die sie beschäftigen, mit den entsprechenden Positionen und Aussagen der Parteien. Bei der Europawahl im Juni beispielsweise zeigte sich diese Herangehensweise daran, dass das Parteienspektrum, das die Jungen bevorzugt gewählt haben, viel breiter war als das der älteren Bevölkerung. Strategisch wählen Menschen jüngeren Alters eher nicht. Davon profitiert momentan die AfD, im kleineren Maßstab das Bündnis Sahra Wagenknecht. Bis vor Kurzem hat auch die CDU als Oppositionspartei profitiert.

Kann man feststellen, dass junge Menschen – mehr noch als früher – keine Parteibindung haben? Und dass ihr Wahlverhalten dem Kaufverhalten im Internet ähnelt, wo Produkte und Preise verglichen werden – und dann alles mit schlechteren Konditionen für einen selbst gnadenlos aussortiert wird?
Im Prinzip ist es so. Es gibt noch eine Parallele. Sie erwähnten das Internet. Auch im politischen Raum ist es bei jungen Leuten der Hauptmarktplatz, wo politische Positionen angepriesen werden. Vor allem für die unter 30-Jährigen zählen im Grunde nur noch die digitalen Plattformen. Hier lässt man sich gerne unterhalten, auch beeindrucken von den Parteien.

Die Parteien, die bei jungen Leuten besonders gut ankommen, sind bei TikTok oder Instagram besonders gut vertreten.
Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen: Die thematische Ausrichtung ist zur einen Hälfte wichtig; die Art und Weise wie kommuniziert wird, zur anderen. Schaut man genauer hin, so entdeckt man: Dahinter steckt eine Erwartung bezüglich Modernität. Junge Leute, die digital groß geworden sind, können es sich einfach nicht mehr vorstellen, dass man im politischen Raum anders kommuniziert. Traditionelle Parteien tun sich ungeheuer schwer, die digitalen Kanäle mit zu bedienen.

Noch bei der Bundestagswahl 2021 sorgte die FDP für Erstaunen, weil sie bei jungen Wählern derart gut abschnitt. Die Grünen fuhren ein passables Ergebnis ein. Was ist seitdem passiert, dass diese beiden Parteien gerade die Jungen als Wähler verloren haben? Haben sie nur auf den falschen digitalen Kanälen gesendet?
Nein. Der thematische Akzent schlägt hier voll durch. Klimawandel, saubere Umwelt – hier hatten die Grünen etwas anzubieten. Die Liberalen imponierten als digitalfreundliche Partei, die für Freiheit und wirtschaftlichen Wohlstand eintrat. Auch die SPD schnitt bei Jüngeren nicht schlecht ab mit ihrem Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Seitdem allerdings hat sich die Themenlandschaft verschoben.

Was nicht an den Parteien liegt, sondern an den politischen Entwicklungen.
Ja, so hat der Ukraine-Krieg wirtschaftliche Unsicherheit ausgelöst. Die Migrationsfrage hat ein stärkeres Gewicht bekommen. Die Menschen, gerade jüngere mit dem Arbeitsleben noch vor sich, machen sich Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft. Das Wohnen wird teurer und knapper. Der AfD ist gelungen, all diese Themen aufzunehmen, einfache, teils primitive Antworten darauf zu geben. Als Opposition können sie das Blaue vom Himmel versprechen, sie müssen ja nicht beweisen, das sie das auch umsetzen können. Zeitgleich tut sich die regierende Ampel ungeheuer schwer. Es gibt eine bittere Enttäuschung, dass die drei Parteien, die so gehypt wurden – und die ja auch Mitgliederzuwächse durch junge Leute verzeichneten –, nicht in der Lage sind, die Herausforderungen gemeinsam zu lösen, die für junge Leute wichtig sind.

Bei der AfD schwingt immer das Autoritäre mit. Ins Positive gewendet: Es herrschen klare Strukturen, Schwarz und Weiß. Verbirgt sich bei der Wahl der AfD so etwas wie die Sehnsucht nach früheren Zeiten, wo alles irgendwie klarer war. Also ein „Zurück in die Zukunft“?
Ja, das kann man so sagen. Die AfD spielt ja auch damit, dass sie für klare Verhältnisse sei. Sie räumt mit der Komplexität der Themen auf: Klimawandel ist halt so, das kann man abhaken. Der Ukraine-Krieg könnte morgen schon zu Ende sein, wenn man Putin eben machen ließe. Demgegenüber stehen die komplizierten Lösungen, die die Ampel-Regierung anbietet.

Auf diese Art und Weise kann man bei jungen Leuten punkten?
Ja, diese stellen eine Zeit lang andere vernünftige, rationelle Überlegungen zurück. Dazu kommt das Gefühl, mehreren dauerhaften Krisen gegenüberzustehen, die sich auch noch ineinanderschieben und inklusive Corona nicht richtig gelöst werden. Es breitet sich so ein Ohnmachtsgefühl aus. Die Neigung, autoritären und nationalistischen Lösungen den Vorzug zu geben, steigt. Selbst extremistische Positionen haben zugenommen.

Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?
Aufgrund der Studien haben wir geschätzt, dass wir ein Potenzial von zehn Prozent bei den unter 30-Jährigen haben. In den vergangenen drei Jahren ist dieses Potenzial angestiegen, auf schätzungsweise 15 Prozent. Diese jungen Menschen sind eine sichere Beute für die AfD. Doch der jetzige Erfolg der AfD ist nur zu erklären mit den Faktoren, die wir bereits angesprochen haben.

Es gibt den schönen Satz, der Winston Churchill zugeschrieben wird: Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz; wer mit es mit 40 immer noch ist, keinen Verstand. Ist das Wählen der AfD letzten Endes ebenfalls eine Form jugendlichen Aufbegehrens – nur in eine völlig andere Richtung, nämlich nach rechts?
Es sind unterschiedliche Quellen, aus denen sich die Unterstützung der AfD speist. Es gibt Enttäuschte, Verunsicherte, es gibt die zehn bis 15 Prozent, die ganz rechts außen stehen – und es gibt nicht wenige, die verärgert bis wütend sind, und die aus diesem Grund AfD wählen.

Und das Völkisch-Nationale, das ja auch die AfD kennzeichnet, wird dabei einfach ausgeblendet?
Ja, diese Menschen, darunter eben viele Jungen, wissen, dass so eine Wahl etwas Provokatives hat. So kann man die eigenen Eltern oder Lehrer ärgern. Auch hier war die AfD erfolgreich. Sie präsentiert sich – gerade den Jungen – als radikale Oppositionspartei. Dass das Ganze sehr rechts ist, dass es keine vorwärts-, sondern eine rückwärtsgewandte Zukunft beinhaltet, irritiert hier nicht. Hauptsache, sie provozieren. Und machen deutlich: Wir fühlen uns nicht gehört. Man wählt die Radikalpartei, damit mal Luft in die Bude kommt.

Zur Person

Der Soziologe Klaus Hurrelmann (80) arbeitet nach vielen Jahren Forschung und Lehre an der Universität Bielefeld seit 2009 als Professor an der Hertie School in Berlin. Hurrelmann führt europaweit vergleichende Studien zu Einstellungen von Jugendlichen durch. Die bekanntesten Untersuchungen sind die Shell-Jugendstudien. Seit 2019 veröffentlicht er zusammen mit Simon Schnetzer die regelmäßig erscheinenden Trendstudien „Jugend in Deutschland“.blt/Foto: dpa

Klaus Hurrelmann
Klaus Hurrelmann
x