Politik Frank-Walter Steinmeier: Eine Lanze für die Demokratie

Kalter Auftakt: Frank-Walter Steinmeier, Elke Büdenbender, Malu Dreyer und ihr Ehemann Klaus Jensen vor dem Hambacher Schloss.
Kalter Auftakt: Frank-Walter Steinmeier, Elke Büdenbender, Malu Dreyer und ihr Ehemann Klaus Jensen vor dem Hambacher Schloss.

Frank-Walter Steinmeier hat Rheinland-Pfalz besucht. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt war es die letzte Station seiner Tour durch alle 16 Bundesländer. Dabei ruft der Bundespräsident zu mehr Engagement für die Demokratie auf und stellt sich schützend vor Politiker. Für spontane Kontakte mit Bürgern bleibt wenig Raum.

Schüler in Deutschland können doch noch diszipliniert sein. Und wie! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich zum Besuch angesagt. Draußen kämpft sich kurz vor dem Eintreffen seines Trosses die Sonne durch dicke Wolken. In der ungemütlichen Kälte nimmt das Schulorchester Aufstellung. Vor dem Gelände der Georg-Forster-Gesamtschule im rheinhessischen Wörrstadt warten ein paar Schaulustige vor den Absperrungen. Und drinnen warten die Schüler. Alle sind sie in die große Eingangshalle gekommen, mehr als 800 an der Zahl. Die Spannung steigt, aber alle stehen brav. Das Schulorchester intoniert die Nationalhymne. Als das Staatsoberhaupt und seine Ehefrau Elke Büdenbender die Halle betreten, braust lauter Beifall auf. Jubelrufe, Arme winken. Ein im Vergleich zu seinem Vorgänger Joachim Gauck eher spröde und wortkarg daherkommender Steinmeier ist sichtbar angetan. Händeschütteln, kurze Gespräche. Seine Öffentlichkeitsberater wollen ihn dorthin schieben, wo Schüler und Präsident besser von den Fernsehkameras zu erfassen sind. Steinmeier ignoriert in diesem Moment seine Helfer. Es zählt das Gespräch mit den Jugendlichen direkt vor ihm. Der Bundespräsident ist auf Antrittsbesuch in Rheinland-Pfalz. Seit einem Jahr ist Steinmeier im Amt. Rheinland-Pfalz ist das letzte der 16 Bundesländer, denen er nach und nach seine Aufwartung gemacht hat. Zwei Tage nimmt sich das Staatsoberhaupt Zeit. Ein Besuch auf dem Hambacher Schloss steht auf dem Programm – macht den Auftakt wie schon beim Antrittsbesuch des Amtsvorgängers Joachim Gauck. Dann Termine in der Landeshauptstadt, die Schule in Wörrstadt und Ziele im Westerwald. Die wichtigsten Stationen seiner Reise durch Deutschland haben eines gemeinsam: Sie sind „Orte der Demokratie“. Demokratie ist das Thema, über das Steinmeier auch in Rheinland-Pfalz diskutieren will. Die Wörrstadter Gesamtschule ist ein solcher Ort. Sie ist Modellschule für Partizipation und Demokratie. Mit- und voneinander lernen und das Einüben demokratischer Spielregeln gehören unter anderem zum pädagogischen Konzept. Klassenräte diskutieren die Anliegen der Schüler. Deren Sitzungen sind fest in den Stundenplan integriert. Jede Klasse wählt zwei Delegierte für das monatlich tagende Schülerparlament. Steinmeier und Büdenbender, im Gefolge Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Bildungsministerin Stefanie Hubig, lauschen eine Viertelstunde lang den Verhandlungen des Schülerparlaments. Die Öffentlichkeit bleibt draußen. Leider sei keine Zeit geblieben, dem Präsidenten Fragen zu stellen, bedauert ein Schülerabgeordneter hinterher. Was dem Präsidenten an seinem Job gefalle und was weniger, hätte den Unterstufenschüler interessiert. Doch Steinmeier ist schon weitergezogen. In einer Diskussionsrunde mit Oberstufenschülern geht es unter anderem um das Thema Wahlalter mit 16. Besonders SPD und Grüne in der Mainzer Regierungskoalition würden gerne bei Kommunal- und möglichst auch bei Landtagswahlen junge Leute ab 16 wählen lassen. Doch die CDU ist dagegen und verweigert ihre Stimmen, die für eine entsprechende Änderung der Verfassung nötig wären. Da ist es der Regierungsmehrheit in Mainz höchst willkommen, den Präsidenten mit dem Thema zu befassen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das Mittagessen gibt es für die Steinmeiers in der Schulkantine. Noch eine Gelegenheit, dem jungen Volk aufs Maul zu schauen. Steinmeier nimmt Kartoffeln und Chicken Nuggets. Ansonsten sind die Begegnungen mit Normalbürgern eher selten während der Präsidenten-Visite. Dichtes Programm, strenges Protokoll. Im Gutenberg-Museum lässt sich Steinmeier die Erfindungen des berühmten Mainzer Buchdruckers erklären. Vor dem Museum haben sich knapp 50 Schaulustige eingefunden. Die meisten von ihnen sind zufällig vorbeigekommen. Jetzt wollen sie einen Blick auf den Präsidenten werfen („den sieht man ja sonst nur im Fernsehen“). Steinmeier klettert aus seiner Limousine, spricht den wartenden Presseleuten ein Paar Dankesworte ans Gastgeberland in Mikrofone und Blöcke und macht sich auf zum Händeschütteln. Ein Dreikäsehoch ruft den Namen des Präsidenten und verdient sich damit Aufmerksamkeit. Nach ein paar Minuten geht es weiter. Es ist kalt ohne Mantel. Die Sicherheitsleute sind erleichtert. Apropos Sicherheit: Auch der Schutz des Präsidenten nimmt Chancen für spontane Begegnungen. Die Polizei ist überall, sichtbar und verdeckt. Die Absperrungen sind weiträumig. Auch die Presseleute werden mehrfach am Tag kontrolliert. Ballrog freut sich über viel Arbeit. Der dreijährige Schäferhund-Mischling in Diensten der hessischen Polizei ist auf Sprengstoff trainiert. Er darf ausnahmsweise in Mainz seine Nase in Kameraausrüstungen und Umhängetaschen stecken. Ballrog erntet Lob und Aufmerksamkeit, er ist zufrieden. Auch an der Mainzer Universität spricht Steinmeier über Demokratie. In einer Diskussion mit Publizistik-Studenten geht es um Hasskommentare in sozialen Medien. „Sie haben Einfluss auf meine Laune“, beschreibt der Präsident seine Reaktion auf verbale Entgleisungen in Facebook. Viele dieser Äußerungen in der Anonymität des Netzes zeugten von „Aggressivität und sprachlicher Haltlosigkeit“. Ihre Wirkung sollte deshalb nicht unterschätzt werden, appelliert der Präsident. Er selbst sei in den sozialen Medien aufgefordert worden, sich aufzuhängen. In einem Fall habe er Strafantrag gestellt, weil jemand verlangt habe, „mich zu vergasen“. In einer Rede vor Mitgliedern des Landtags und der Landesregierung bricht Steinmeier eine Lanze für ehrenamtliche Helfer und für Politiker. Ihr Engagement sei für die Demokratie unverzichtbar. Der Präsident nimmt Politiker aller Ebenen vor Verleumdungen und Angriffen in Schutz. Eine Welt ohne Politik sei keine bessere Welt, und es gebe keine Erlösung von der Politik. Der Einzug von Hass und Verachtung in die politische Debatte sei ebenso gefährlich wie die Flucht aus der Politik.

Und wie alt bist du? Das Bundespräsidentenpaar in Mainz mit einem der jüngeren Einwohner des Landes.
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Abschied im Westerwald: Das Raiffeisen-Haus in Flammersfeld ist die letzte Station von Steinmeiers Tour durch die Bundesländer.
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Hand anlegen: Steinmeier und Büdenbender beim Druckversuch im Mainzer Gutenberg-Museum.
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