Meinung Frankreichs verzwickte Lage

Noch-Premierminister Gabriel Attal gehört zu denen, die von Präsident Macron abrücken.
Noch-Premierminister Gabriel Attal gehört zu denen, die von Präsident Macron abrücken.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte behauptet, die Auflösung des Parlaments und schnelle Neuwahlen würden klarere Verhältnisse bringen. Tatsächlich ist die Lage nach den Wahlen aber verfahrener denn je.

Es gibt wenige Menschen in Frankreich, die die überraschende Ankündigung von Neuwahlen am Abend der EU-Wahlen Anfang Juni je für eine gute Idee hielten. Zu ihnen gehört der Mann, der diese einsame Entscheidung getroffen hat: Präsident Emmanuel Macron. Er verteidigt sie weiterhin als notwendigen demokratischen Akt. Macron ließ sich von der unüberlegten Idee eines politischen Coups hinreißen – der misslang. Seinen politischen Aufstieg ermöglichte vor mehr als sieben Jahren seine Methode des Überrumpelns und Voranpreschens. Doch was damals erfrischend wirkte, funktioniert heute nicht mehr; stattdessen hat er seinen eigenen Abstieg beschleunigt. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 darf Macron laut Verfassung nicht mehr antreten. Was kann er bis dahin noch erreichen ohne Mehrheit in der Nationalversammlung und angesichts des eingebrochenen Rückhalts für ihn?

Selbst seine bis jetzt loyalen Mitstreiter wenden sich ab und ihren eigenen Karriereplänen zu, um die Nach-Macron-Ära vorzubereiten. Premierminister Gabriel Attal hat sich losgesagt, ließ sich gegen den Willen des Präsidenten zum Fraktionschef von dessen Partei wählen und ringt um die Vorherrschaft in der politischen Mitte.

Linksbündnis wird sich nicht einig

Auch eineinhalb Wochen nach der Wahl der Nationalversammlung, die am Donnerstag erstmals tagt, sind die Konturen einer neuen Regierung völlig verschwommen. Die Parteien links der Mitte, die als Wahlbündnis einen Überraschungssieg errangen, sind dabei, diesen Erfolg zu verspielen, weil sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Premierministers einigen können. Kompromisslos tritt vor allem die Linkspartei La France insoumise (LFI) auf, während Teile aus Macrons Allianz und die Republikaner angekündigt haben, keine Regierungsbeteiligung von LFI zu akzeptieren.

Häufig wird in Frankreich nun auf die Nachbarn von Italien bis Deutschland verwiesen, wo oft Koalitionen gebildet werden. Doch die französische politische Kultur ist seit Jahrzehnten auf Konfrontation statt Zusammenarbeit ausgerichtet. Die Bereitschaft, das zu ändern, lässt sich auch jetzt nur bei wenigen erkennen. Große Gräben gibt es zwischen den drei Hauptblöcken im Parlament, nämlich den Linken, deren Bündnis Risse zeigt, dem erschütterten Mitte-Lager und den Rechtsextremen, die geeint hinter ihrer autoritären Fraktionschefin Marine Le Pen stehen, aber keine Optionen für Allianzen haben.

Niemand bewegt sich

Kein Lager hat eine Mehrheit – doch niemand bewegt sich. Sollte sich das nicht ändern, müsste eine instabile Minderheitsregierung, die sich von Projekt zu Projekt hangelt, oder ein Kabinett aus parteilosen Experten gebildet werden. Voraussichtlich wird die aktuelle Regierung die laufenden Geschäfte vorerst weiterführen – zumindest bis nach den Olympischen Spielen in Paris. Macrons angestrebte Lösung, ein großes Zweckbündnis von Pragmatikern verschiedener Couleurs unter Ausschluss der Parteien am linken und rechten Rand, zeichnet sich nicht ab. Die Ablehnung gegen ihn persönlich ist zu groß.

Derweil kann er Frankreich auf der internationalen Bühne weiter vertreten. Doch spätestens ab Herbst, wenn es um den nächsten Haushalt und die künftige Agenda geht, ist er mehr als vorher abhängig vom Parlament. Auch gegenüber den europäischen Partnern beeinträchtigt das seine bislang starke Position als Präsident mit weitreichenden Machtbefugnissen. Macron erscheint wie ein Adler, der zwar hoch über alle hinaus fliegen wollte, sich aber selbst die Flügel gestutzt hat. Nachwachsen werden sie kaum.

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