Hisbollah-Miliz Hundertfache Explosion in der Hosentasche

Israelische Soldaten sichern im Norden die Grenze zum Libanon.
Israelische Soldaten sichern im Norden die Grenze zum Libanon.

Mit der zeitgleichen Explosion Hunderter Pager ist der Hisbollah-Miliz im Libanon am Dienstag ein schwerer Schlag zugefügt worden. Experten sehen darin einen Coup des israelischen Geheimdienstes gegen die schiitische Miliz und ihre Unterstützer in Teheran.

Was sind Pager?
Pager waren die ersten kompakten, mobilen und massentauglichen Kommunikationsgeräte. In den 80er und 90er Jahren waren sie weit verbreitet. Laut US-Hersteller Spok waren 1994 weltweit 61 Millionen Pager im Umlauf. Über die Funkfrequenz können akustische Warnmeldungen oder Textnachrichten auf dem kleinen Display empfangen werden. Handys haben Pager inzwischen weitgehend verdrängt. Doch in einigen Bereichen sind sie weiter im Einsatz, vor allem in Krankenhäusern und insbesondere in den USA. Laut einer Studie des „Journal of Hospital Medicine“ von 2017 nutzten fast 80 Prozent der befragten Krankenhausärzte Pager.

Warum nutzt die Hisbollah Pager und keine Mobiltelefone?
Die Schiitenmiliz bevorzugt aus Sicherheitsgründen Pager, die eine eigene Funkfrequenz nutzen, für die interne Kommunikation. Mit Handys würden die Terroristen Gefahr laufen, dass ihre Kommunikation zurückverfolgt, abgehört oder blockiert wird. Quellen aus dem Umfeld der Hisbollah teilten mit, dass die explodierten Pager erst kürzlich importiert wurden. Die Miliz hatte demnach 1000 dieser Geräte erhalten, die „an der Quelle sabotiert“ worden seien.

Wo kommen die Pager her?
Die „New York Times“ hat berichtet, dass die Pager beim taiwanischen Unternehmen „Gold Apollo“ bestellt worden seien. Die Firma teilte nun mit, dass die Geräte vollständig von ihrem ungarischen Partner BAC Consulting KFT produziert worden seien. Der in Brüssel ansässige Militär- und Sicherheitsexperte Elijah Magnier hält es für möglich, dass es sich bei dem Anbieter der Pager um ein Unternehmen handeln könne, das der israelische Geheimdienst eigens für diese Operation aufgebaut hat.

Wie wurden die Pager zur Explosion gebracht?
Charles Lister von der US-Denkfabrik Middle East Institute meint: „Das war mehr als Lithium-Batterien, die außer Kraft gesetzt wurden.“ Vielmehr sei höchstwahrscheinlich an der Batterie eine kleine Menge Plastiksprengstoff eingebaut worden, der durch einen Telefonanruf oder ein Funksignal zur Explosion gebracht werden konnte. Der ehemalige CIA-Analyst Mike DiMino von der US-Denkfabrik Defense Priorities kommentierte in X unter Berufung auf Bilder von den Verletzungen im Libanon, dass ein „sehr kleiner Sprengsatz“ in den Pagern und nicht das Überhitzen der Batterie die wahrscheinlichste Explosionsursache sei. „Das war ein klassischer Sabotage-Einsatz“, so DiMino. Dessen Vorbereitung habe wahrscheinlich „Monate, wenn nicht Jahre“ gedauert.

Wie reagiert die Hisbollah?
Die schiitische Miliz hat Israel bereits „für diese sündhafte Aggression“ verantwortlich gemacht und versichert, dass es dafür bestraft werde. Am Mittwoch gab die Hisbollah zudem an, dass sie auch ihren Kampf zur Unterstützung der Palästinenser im Gazastreifen nicht aufgebe. Auch die Regierung in Teheran drohte Israel.

Warum hat – mutmaßlich – der Mossad die Pager gerade jetzt gezündet?
Laut dem US-Nachrichtenportal Axios plante die israelische Führung ursprünglich, die manipulierten Geräte im Rahmen einer Offensive im Süden des Libanon zu zünden. Die Sprengsätze seien am Dienstag ausgelöst worden, weil israelische Sicherheitskreise befürchteten, die Gruppe könne dem Vorhaben auf die Spur gekommen sein. Es sei ein “Jetzt-oder-nie-Moment“ gewesen, zitiert Axios einen US-Vertreter. Mit der Tötung des Hisbollah-Militärchefs Fuad Schukr bei einem Luftangriff am 30. Juli hatte Israel bereits bewiesen, dass es sich genaue Informationen über den Aufenthaltsort eines mächtigen Hisbollah-Anführers verschaffen kann. Nur einen Tag später wurde der Hamas-Chef Ismail Hanija bei einem Besuch in Teheran durch einen Sprengsatz getötet, den Israel dort Wochen zuvor platziert haben soll.

Wie geht es weiter in der Region?
Nahost-Experten fürchten, dass die Massenexplosion der Pager nur ein erster Schritt gewesen sein könnte. „Eines der Szenarien ist, dass dies nur der Anfang ist, um das Kommunikationsnetz der Hisbollah zu stören“, sagt Hanin Ghaddar von der Denkfabrik Washington Institute for Near East Policy. Nach diesem Szenario wären die Detonationen der „Anfang eines viel größeren Militäreinsatzes im Libanon, wo, wenn die Hisbollah nicht mehr miteinander kommunizieren kann, die Israelis eine bessere Chance haben werden, die Einsätze im Libanon zu gewinnen oder auszuweiten“.

Wie wahrscheinlich ist eine israelische Offensive im Libanon?
Schon seit Wochen werden die Rufe nach einem Eingreifen im Libanon im israelischen Kabinett immer lauter. Seit dem Überfall der Hamas auf Israels Süden im vergangenen Oktober beschießt die Hisbollah fast täglich den Norden des Landes. Zehntausende Israelis haben ihre Häuser verlassen. Am Montag hatte das Kabinett die Rückkehr der Vertriebenen zu einem offiziellen Kriegsziel erklärt.

Wie ist die Stimmung in Israel?
In der Bevölkerung unterstützt laut Umfragen eine Mehrheit ein militärisches Vorgehen im Norden. Am Montagabend gab es Berichte, dass Ministerpräsident Netanjahu plane, seinen Verteidigungsminister Joav Galant zu entlassen. Dieser war zuletzt – ebenso wie einige Mitglieder der israelischen Armeeführung – mehrfach mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aneinandergeraten, weil er mit Blick auf den Libanon und die Hisbollah weiter auf eine diplomatische Lösung setzt.

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