Politik Im Schwitzkasten Seehofers

Die Kanzlerin steht mit dem Rücken zur Wand. Wenn die CSU ihre Ankündigung umsetzt, dann wird Innenminister Horst Seehofer am Montag die Zurückweisung registrierter Flüchtlinge an der deutschen Grenze per Erlass anordnen – gegen den Willen Merkels. Damit wäre das gegenseitige Vertrauen der beiden Schwesterparteien zerstört und die Koalition am Ende. Wird es so weit kommen?

Um die Nase herum sind einige Unionsabgeordnete zu dieser Mittagsstunde recht blass. Vielleicht war die Nacht zu kurz, vielleicht waren sie auch vorher im Blutspendebus des Roten Kreuzes, der vor dem Reichstag steht. Vielleicht aber ist ihnen gerade klar geworden, dass gerade alles auf der Kippe steht, wofür sie bei der Bundestagswahl gekämpft haben. Denn so viel ist klar: Wenn sich dieser Konflikt um die Flüchtlingspolitik nicht auflöst, dann ist diese Legislaturperiode schneller zu Ende, als es die Opposition vorausgesagt hat. Zwei Dinge lassen am Vormittag aufhorchen: Es gibt Sondersitzungen der Fraktionen, was allein schon unüblich ist mitten in einer Plenardebatte des Bundestages. Und: CDU und CSU tagen jeweils für sich. Ein Hauch von „Kreuth“ liegt über dem Bundestag. 1976, kurz nach der Bundestagswahl und dem verpassten Regierungswechsel, marschierte die Union getrennt. Im Hintergrund tobte ein Machtkampf, es war der zwischen den beiden Parteivorsitzenden Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU). Ausgezahlt hat sich die nur ein paar Wochen dauernde Zweiteilung für die Union nie. Gestern, auf der sogenannten Fraktionsebene im Reichstag, verlassen die Unionsabgeordneten den Aufzug in jeweils andere Richtungen, um in ihre Sitzungsräume zu gelangen. Die CSU geht nach rechts, die CDU nach links. Dann schließen sich die Türen, und die Journalisten drängen sich davor. Etwas Historisches könnte sich gerade anbahnen, am Ende vielleicht der Rücktritt der Kanzlerin? Es wird wild spekuliert, doch aus den beiden Sitzungen dringt zunächst wenig. Man hört, dass Merkel im CDU-Präsidium für ihren Weg Unterstützung bekommen hat – außer von Jens Spahn, dem ehrgeizigen Konservativen, dem Kanzleramibitionen nachgesagt werden. Man hört auch, dass in der CSU die Reihen fest geschlossen sind, und zwar hinter Innenminister Horst Seehofer. Dessen „Masterplan“, den bis dato nur wenige Auserwählte gesehen haben, nicht jedoch die Unionsabgeordneten – obwohl sie darüber diskutieren, steht im Mittelpunkt des Streits. Seehofer will die in einem anderen EU-Land bereits registrierten Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen, Merkel glaubt jedoch, dass damit das Problem in die Aufnahmeländer verlagert wird und befürchtet katastrophale Zustände in Italien und auf dem Balkan. Während Seehofer Oberwasser hat, weil er vermutlich die Stimmung in der Bevölkerung trifft, kann Merkel lediglich das vage Versprechen abgeben, eine europäische Lösung zu finden – woran nur wenige glauben. Zwischen CDU- und CSU-Abgeordneten sollen die Text-Nachrichten hin- und hergeflogen sein. Man beobachtet sich virtuell, spricht aber nicht miteinander. Irgendwann treibt der Hunger die Abgeordneten nach draußen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier kehrt mit drei Würsten auf dem Teller wieder zurück in den Saal („sind nicht alle für mich“), andere ordern Kaffee. CDU-Abgeordnete machen kein Hehl aus ihrer Meinung, Merkel habe den Schuss wohl nicht gehört, habe also nicht verstanden, dass man ihren europäischen Bemühungen nicht den Hauch einer Chance gibt. Die Stimmung ist gereizt. Am Ende äußert sich offiziell nur CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Die CSU nimmt keine Rücksicht auf Merkel, jetzt gelte es, Haltung zu wahren und zu handeln. Das heißt also: Seehofer ist entschlossen, seinen „Masterplan“ umzusetzen.

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