Glosse Immer dieser unstatthafte Beifall ...

„Order, Order!“ – Unterhaus-Speaker John Bercow wäre kein Vorbild für den Bundestag.
»Order, Order!« – Unterhaus-Speaker John Bercow wäre kein Vorbild für den Bundestag.

Die Debattenkultur des Bundestages ist besser als ihr Ruf

Als Großbritannien um den Austritt aus der EU rang, mussten deutsche Bundestagsabgeordnete sich immer wieder anhören, wie lebhaft und originell das Londoner Unterhaus seine Debatten führe – im Gegensatz zu den drögen Sitzungen des Bundestages. Unvergessen ist der „Speaker“ der Kammer, John Bercow, der mit seinen „Order, Order!“-Rufen das Lärmen der Abgeordneten zu unterbinden versuchte. Manchen Zwischenrufer nahm er auch persönlich aufs Korn und riet einem Abgeordneten einmal, er solle sich beruhigen und Yoga betreiben.

Die vergangene Haushaltswoche im Bundestag bewies jedoch, dass es auch im deutschen Parlament munter und leidenschaftlich zugehen kann. Und man kann eigentlich froh sein, dass im Reichstagsgebäude nicht die gleichen Regeln gelten wie in Westminster. Nicht nur, dass im Unterhaus Beifall „unstatthaft“ ist, weil er einen Teil der Zeit für die Debatte auffrisst, es dürfen nämlich die britischen Parlamentarier auch nicht mit Namen angesprochen werden, sondern nur als „Mitglied“ ihres Wahlkreises.

Jungfernreden „nicht kontrovers“ halten

Ein verbaler Angriff beispielsweise auf den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor würde sich – übertragen auf den Bundestag – dann so anhören: „Völlig auf dem Holzweg ist übrigens das Mitglied des Wahlkreises ,Mecklenburgische Seenplatte I-Vorpommern-Greifswald II’!“ Ob dies „den zivilen Ton und die Objektivität der Debatte gewährleisten“ würde, wie dies in den Verhaltens- und Anstandsregeln des britischen Unterhauses heißt, mag man bezweifeln.

Auch eine andere Regelung wäre in Deutschland höchst gewöhnungsbedürftig: Wie die FAZ berichtet, sollen Abgeordnete ihre Jungfernreden im Unterhaus „nicht kontrovers“ halten. Es soll darin eine Erinnerung an den vorherigen Mandatsinhaber des Wahlkreises vorkommen, egal ob der Mitglied der eigenen Partei war oder nicht, und ein paar wohlwollende Bemerkungen über den Wahlkreis selbst.

Weiter schreibt Westminster vor, gehöre es zur Tradition, dass der folgende Redner den ersten Beitrag des neuen Mitglieds lobt. So viele Liebenswürdigkeiten sind im Bundestag eher unüblich, auch wenn vor allem Pfälzer Abgeordnete im Plenum gerne dazu neigen, einige sehr freundliche Worte über ihren Wahlkreis zu verlieren („bester Wein“, „schönster Wald“). Völlig zu Recht, natürlich.

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