Politik In Europa droht ein ziemliches Zeitchaos

Bei einer Abschaffung der jährlichen Zeitumstellung wird damit gerechnet, dass EU-Mitgliedstaaten ihre Standardzeit ändern. Geschieht dies unkoordiniert, könnte Mittel-europa ein zeitlicher Flickenteppich werden.

Die Zeitumstellung in der Europäischen Union jeweils im März und Oktober soll bald Geschichte sein. Mit Bezug auf eine unverbindliche und nicht repräsentative Umfrage der EU-Kommission teilte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit: „Die Menschen wollen das, wir machen das.“ Wird also vielleicht bald die Sommerzeit auch im Winter gelten? Nein. Präziser formuliert bedeutet Junckers Ankündigung zunächst nur: Die EU-Kommission wird in Kürze den Vorschlag machen, dass die Zeitumstellung, die bisher alle sechs Monate vorgenommen wird, wegfällt. Danach sind die Co-Gesetzgeber auf EU-Ebene, Mitgliedstaaten und das EU-Parlament, am Zug. Damit der Vorschlag umgesetzt wird, muss das Europäische Parlament mit einfacher Mehrheit zustimmen. Und: Die EU-Mitgliedstaaten müssen im Rat, dem Gremium der Mitgliedstaaten, mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Das heißt: 16 Staaten müssen zustimmen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen. Kommt der Vorschlag durch, dann ist zunächst einmal nur die Zeitumstellung abgeschafft. Es würde die Winterzeit gelten. Dass die Deutschen sozusagen „die ewige Sommerzeit“ bekommen, ist dennoch denkbar. Dafür müsste die Bundesrepublik beschließen, die Zeitzone zu wechseln. Diese Entscheidung fällt in die alleinige nationale Kompetenz. Die EU darf sich hier nicht einmischen. Hintergrund ist, dass es in der EU drei Zeitzonen gibt. Portugal, Irland und Großbritannien haben die westeuropäische Zeit oder mittlere Greenwich-Zeit (MGZ) gewählt. In 17 EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, gehen die Uhren eine Stunde vor. Diese Zeitzone wird MGZ+1 genannt. Acht Mitgliedstaaten im Osten benutzen die MGZ+2, im Vergleich zu Deutschland ist es dort stets eine Stunde später. Wenn es also in London 12 Uhr ist, ist es in Berlin 13 Uhr und in Bukarest bereits 14 Uhr. Um die ewige Sommerzeit zu bekommen, müsste Deutschland also beschließen, die Zeitzone zu wechseln und sich künftig in der Zone MGZ+2 anzusiedeln. In der EU-Kommission wird damit gerechnet, dass einige EU-Staaten die Zeitzone wechseln. Spanien, so ist zu hören, würde bei der Abschaffung der Zeitumstellung vermutlich die gleiche Zeit wie Portugal, Irland und Großbritannien (also die westeuropäische Zeit) anstreben. Unterschiedliche Zeitzonen in der EU seien kein Problem für den Binnenmarkt, verlautet dazu aus Brüssel. Denkbar also wäre, dass Deutschland zur „ewigen Sommerzeit“ wechselt. Dann wäre zu Großbritannien ein Zeitunterschied von zwei Stunden. Das Problem: Deutschlands Nachbarn müssten entscheiden, ob sie mitzögen. Es ist wahrscheinlich, dass sich die meisten Länder dem deutschen Schritt anschließen würden. Garantiert ist das aber nicht. Vorstellbar und nicht ausgeschlossen ist, dass etwa die Schweiz als Nicht-EU-Land mit eigener Mentalität den Wechsel der Zeitzone nicht mitmachen würde. Dann könnte die Schweiz das einzige Land in Mitteleuropa mit einer eigenen Zeitzone sein. Und als wie wahrscheinlich gilt das Kippen der Zeitumstellung? In Brüssel heißt es, dass es ganz schnell gehen könnte. Noch bis zu den Europawahlen im nächsten Jahr könnte der Beschluss stehen. Die Zustimmung des Parlaments gilt als wahrscheinlich. Das Parlament hatte im Februar die Initiative ergriffen und die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag zu machen. Unter den Regierungen der Mitgliedstaaten ist die Stimmung schwer einzuschätzen. Im Laufe des vergangenen Jahres wurde zwei Mal über die Zeitumstellung im Ministerrat gesprochen. Eindeutig positioniert hat sich nur die Regierung von Finnland – als Gegnerin der Umstellung. Das würde im Alltag bedeuten: Wenn künftig in Deutschland die ewige Sommerzeit gelten sollte, ginge beispielsweise am 1. Januar 2020 die Sonne in Frankfurt morgens erst um 9.24 Uhr auf, ginge aber auch erst gegen 17.30 Uhr unter. Wenn dauerhaft die Winterzeit eingeführt würde, hätte das umgekehrt Folgen für die jetzt noch langen Sommerabende: Am 1. Juli 2020 würde die Sonne in Frankfurt statt um 21.37 Uhr schon um 20.37 Uhr untergehen. Dafür würde sie bereits um 4.20 Uhr aufgehen.

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