Meinung Kamala Harris: Die Gute-Laune-Kandidatin
Noch vor kurzem hätten Freunde dem Gouverneur von North Carolina, Roy Cooper, wohl zu einem Arztbesuch geraten. „Ich war viel im Wahlkampf unterwegs“, erzählte der Demokrat am Freitag bei einer Kundgebung: „Ich habe ein Gefühl wie 2008.“ Ernsthaft? 2008 – das war das Jahr, als ein Senator namens Barack Obama mit seiner „Hope“-Kampagne die Herzen der US-Wähler eroberte und der Bundesstaat North Carolina zum vorerst letzten Mal für einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten stimmte.
So mutig der Vergleich klingt, so treffend spiegelt er die aktuelle Stimmung unter den Demokraten. Die Regie muss nicht nachhelfen, um den an diesem Montag beginnenden Parteitag in Chicago als Krönungsmesse zu gestalten. Wo immer die Kandidatin Kamala Harris auftritt, sind die Hallen voll, und es wird begeistert gejubelt. Fast 370.000 Freiwillige haben sich als Wahlhelfer gemeldet. Und die Generation TikTok feiert die 59-Jährige wie einen Popstar.
Begeisterung und Zuversicht
Wer die vergangenen Sommerwochen auf einer einsamen Insel zugebracht hat, muss an seiner Wahrnehmung zweifeln. War nicht Donald Trump nach einem Attentatsversuch auf einem triumphalen Parteitag gerade zum Messias der Republikaner aufgestiegen? Lagen die Demokraten nicht in allen Umfragen weit abgeschlagen zurück? Und galt die bestenfalls unauffällige Vizepräsidentin Harris nicht als Klotz am Bein der Biden-Regierung?
Das alles stimmt. Und es sind gute Gründe, den derzeitigen Hype mit Skepsis zu verfolgen. Doch mit dem Kandidatenwechsel hat sich die Dynamik des Rennens um das Weiße Haus verändert. Im linksliberalen Lager ist ein Knoten geplatzt. Plötzlich gibt es zumindest eine Chance, den Durchmarsch von Trump zu stoppen: Das setzt Energie, Begeisterung und Zuversicht frei.
Die Rollen haben sich verkehrt: Im Kontrast zu dem 81-jährigen Joe Biden wirkte Trump dynamisch. Selbst echte Erfolgsmeldungen der Regierung drangen kaum durch, weil der Botschafter mit dünner Stimme so fragil und schwach wirkte. Doch nun dominiert nicht mehr der narzisstische Macho Trump die Nachrichten, sondern eine fast zwei Jahrzehnte jüngere schwarze Frau. Sie setzt auf Freude und Zuversicht, während er düstere Untergangsszenarien malt und wilde Racheschwüre ausstößt. Mit einem Mal wirkt der 78-Jährige alt und ermüdend.
Trump aus seiner Komfortzone vertrieben
Das alles garantiert Harris keinen Wahlsieg. Ihre politischen Flitterwochen könnten bald nach dem Parteitag zu Ende gehen. Dann ist der Überraschungseffekt verbraucht, und Fragen vor allem nach ihrem recht dünnen Programm dürften lauter werden. Bis zur Wahl sind es noch elf Wochen. Die Entwicklung seit der desaströsen TV-Debatte zwischen Trump und Biden belegt, wie viel passieren kann.
Doch eines hat die gut gelaunte Kandidatin schon erreicht: Sie hat Trump aus seiner Komfortzone vertrieben. Seine Umfragewerte sinken. Aus der Defensive bekommt er seine Gegnerin nicht zu packen. Entsprechend aufgebracht steigert er sich in seine rassistischen und frauenfeindlichen Ausfälle, die ihm bei unabhängigen Wählern und vor allem Wählerinnen schaden. Vielleicht muss Harris gar keine weibliche Obama werden. Es könnte reichen, wenn sich Trump in seinem maßlosen Hass selbst demontiert.
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