Politik Lackmustest für die polnische Regierung

Gegen die jetzt vom Europäischen Gerichtshof per einstweiliger Verfügung gestoppte Justizreform kam es in Polen zu Demonstration
Gegen die jetzt vom Europäischen Gerichtshof per einstweiliger Verfügung gestoppte Justizreform kam es in Polen zu Demonstrationen (Foto).

Die Polen haben gestern im ganzen Land neue Bürgermeister, Gemeinderäte und andere kommunale Amtsträger gewählt. Die konservative Regierungspartei PiS will ihre Macht weiter ausbauen. Das amtliche Wahlergebnis wird morgen oder am Mittwochabend erwartet.

Der Wahlkampf in Polen war noch in vollem Gange, da schlug die einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg wie ein Bombe ein: Polen muss die Zwangsverrentung der Obersten Richter rückgängig machen. Die Regierung muss alle seit April entlassenen Richter des Obersten Gerichts wieder in Amt und Würden bringen und darf keine Nachbesetzungen mit neuen Richtern mehr vornehmen. Für die seit Herbst 2015 allein regierenden Nationalpopulisten der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist die Forderung des EuGH eine ungeheure Schlappe. Die gestrigen Kommunalwahlen , die dem wohl Rechnung tragen werden, haben Signalcharakter für den bevorstehenden Wahlmarathon: die Europawahlen im Mai 2019, die polnischen Parlamentswahlen im Herbst desselben Jahres und die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2020. Das PiS-Establishment brauchte einige Stunden, um vor der Wahl noch eine Antwort zu formulieren, die wankelmütig gewordene PiS-Wähler beruhigen könnte. Schließlich verkündete Parteichef Jaroslaw Kaczynski auf seiner Wahlkundgebung in der südpolnischen Stadt Zamosc: „Wir sind Mitglieder der Europäischen Union und werden das EU-Recht respektieren. Aber wir werden natürlich von unserem Recht Gebrauch machen und Berufung einlegen.“ Doch die PiS konnte mit dem Hinweis auf die „Berufung“ kaum noch punkten. Umfragen zufolge hält die Mehrheit der Polen deren massiven Umbau des Rechtssystems für falsch. Letztlich führt der Rauswurf hoch qualifizierter und bisher unabhängiger Richter und die Neuberufung von anderen Richtern durch politisch bestellte Gremien zu einem Gerichtswesen, das nicht anders als „politische Justiz“ genannt werden kann. Die Richter am Obersten Gericht mit ihrer inzwischen berühmten Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf an der Spitze wehrten sich vehement gegen ihre Entlassung, die als „Pensionierung“ scheinbar rechtens daherkam, allerdings rückwirkend und mit sofortiger Wirkung galt. Trotz ihrer Zwangsverrentung kommt Gersdorf, deren Amtszeit laut polnischer Verfassung bis 2020 läuft, jeden Tag zur Arbeit. An der Außenfront des grünen Kupfer-Glas-Gebäudes des Obersten Gerichts in Warschau hängt ein riesiges Banner. Darauf steht nur ein mahnendes Wort: „Verfassung“. Obwohl sich rund 30 Millionen wahlberechtigte Polen bei den Kommunalwahlen für drei bis vier von 47.000 Kandidaten für Gemeinderäte, Kreistage und die 16 Regionalparlamente entscheiden müssen, spielte die nationale Politik bei dem gestrigen Votum eine große Rolle. So hämmerte Polens Premier Mateusz Morawiecki, der zwei Monate lang die Ochsentour durch Polens Provinz und Städte machte, den Zuhörern immer wieder ein, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen PiS-Regierung und PiS-Kommunalverwaltung sei. Für Begriffsstutzige erklärten Morawiecki wie auch Parteiführer Kaczynski, dass eine Stadt- und Regionalverwaltung, die von der Opposition geführt werde, schwerer Zugang zu Investitionen und Geldern aus der Zentrale haben werde. Während die PiS auch mithilfe der katholischen Kirche auf dem Land in Führung liegt, hat sie es in den Städten und insbesondere den Großstädten dennoch schwer, sich zu behaupten. Polens Hauptstadt Warschau wird seit zwölf Jahren von Hanna Gronkiewicz-Waltz regiert, die der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) angehört. Auch in Danzig, Lodz, Posen und Lublin regiert bislang die PO. In anderen großen Städten wie Breslau oder Krakau geben regionale oder sogar linke Wählervereinigungen den Ton an. Mit einem hochemotional geführten Wahlkampf und vielen Sozialversprechen will die Regierungspartei PiS das ändern. Als letzten Trumpf veröffentlichte die PiS einen Hetz-Wahlspot gegen Flüchtlinge und Ausländer: Ein Horrorszenario von massenhaft vergewaltigten Polinnen, brennenden Städten und wutschnaubenden Schwarzen würde in schon zwei Jahren den Alltag in Polen bestimmen – sollte die PO die Kommunalwahlen gewinnen. Doch das furiose Ende des Wahlkampfes war für alle die völlig unerwartete einstweilige Anordnung des EuGH – und nicht das PiS-Hetzvideo gegen Ausländer und die PO.

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