Leitartikel Last der kolonialen Vergangenheit

Premierminister Keir Starmer will lieber „nach vorne, statt nach hinten schauen“.
Premierminister Keir Starmer will lieber »nach vorne, statt nach hinten schauen«.

Großbritannien kommt unter Druck, sich für seine koloniale Vergangenheit zu entschuldigen. Doch wer „Sorry“ sagt, muss Verantwortung übernehmen.

Auf dem Gipfeltreffen der Regierungschefs der Commonwealth-Staaten, der bis zum Wochenende in Samoa stattfindet, werden die Stimmen immer lauter, die nach „reparatory justice“, nach wiederherstellender Gerechtigkeit rufen. Soll heißen: Großbritannien soll für die Sünden des Kolonialismus zahlen und für die Versklavung von Millionen Menschen Kompensation leisten. Doch die britische Regierung wehrt ab. Das Thema Sklaverei und Reparationszahlungen stehe nicht auf der Tagesordnung, ließ London im Vorfeld verlauten. Premierminister Keir Starmer erklärte, man solle „besser nach vorne, statt nach hinten schauen“.

Viele seiner Amtskollegen innerhalb des Commonwealth sind anderer Meinung. Der lose Verbund von 56 Staaten besteht hauptsächlich aus ehemaligen Kolonien des britischen Empires und trifft sich auf Regierungschef-Ebene alle zwei Jahre. Während es technisch stimmt, dass Sklaverei und Wiedergutmachung kein offizieller Tagesordnungspunkt ist, war doch klar, dass eine Diskussion darüber beim diesjährigen Treffen in Samoa zu erwarten war.

Weltweit größte Flotte an Sklavenschiffen

Vor allem Karibik-Staaten haben dafür gesorgt, dass das Thema im Abschluss-Kommuniqué erwähnt wird. Die BBC konnte sich einen Entwurf der Erklärung beschaffen, in der es hieß, dass die Regierungschefs „die Forderung nach Diskussionen über wiederherstellende Gerechtigkeit beim Thema Sklaverei zur Kenntnis genommen haben“. Sie würden „vereinbaren, dass die Zeit für eine bedeutungsvolle, wahrhaftige und respektvolle Konversation“ darüber gekommen sei.

Die koloniale Vergangenheit holt das Königreich ein. England besaß einst die weltweit größte Flotte an Sklavenschiffen, die den berüchtigten Dreieckshandel zwischen Afrika, Amerika und dem Heimatland betrieben. Die „Royal Africa Company“ durfte exklusiv den Sklavenhandel organisieren und verschiffte Afrikaner, denen man das RAC-Kürzel auf die Brust gebrannt hatte, in die Neue Welt. Der Hafen von Liverpool galt als „Hauptstadt des Sklavenhandels“ mit dem weltweit größten Sklavenmarkt. Es wird geschätzt, dass zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert bis zu zwölf Millionen afrikanische Männer, Frauen und Kinder nach Amerika verkauft wurden. Der lukrative Handel hat viele Briten sehr reich gemacht. Es wird argumentiert, dass dieser Wohlstand den Grundstein gelegt hat für den nationalen Aufstieg des Landes seit Beginn der industriellen Revolution und für die Entwicklung zum größten Empire der Geschichte.

Unerfüllbare Forderungen

Frederick Mitchell, der Außenminister der Bahamas, verlangte in einem Interview mit der BBC, dass Großbritannien sich für die Sünden des Kolonialismus entschuldigen muss. Die britische Regierung wird sich hüten. Ein „Sorry“ hätte Folgen. Denn es wäre eben nicht nur der Ausdruck von Bedauern, sondern das Eingeständnis der eigenen Schuld. Wer „Sorry“ sagt, muss Verantwortung übernehmen. Und das würde im Fall von Kolonialismus und Sklaverei Milliardenzahlungen bedeuten. Caricom, ein Zusammenschluss karibischer Staaten, der seit langem Reparationen fordert, hat schon ein Preisschild dafür genannt: 200 Milliarden Pfund, umgerechnet 240 Milliarden Euro, würde eine umfassende Wiedergutmachung betragen. Das sind Forderungen, denen wohl keine britische Regierung nachkommen kann.

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