Politik Leitartikel: Freie Fahrt für Diesel?

Vom Bundesverwaltungsgericht wird ein wegweisendes Urteil

zur Verbesserung der Luftqualität in Städten erwartet.

Es könnte die Diskussion um das Einführen der Blauen Plakette befeuern. Um die Belastung mit Stickoxiden rasch zu verringern, bleiben

in einigen Städten nur Fahrverbote.

Darf eine Stadt Fahrverbote für Dieselautos verhängen, weil durch keine andere Maßnahme die schnelle Einhaltung der Grenzwerte bei gesundheitsschädlichen Stickoxiden in der Luft zu erreichen ist? Mit dieser Frage beschäftigt sich am 22. Februar das Bundesverwaltungsgericht – und vieles spricht dafür, dass am selben Tag auch ein letztinstanzliches Urteil gefällt wird. Oberbürgermeister interessieren sich genauso für das Revisionsverfahren, das sich um die Luftreinhaltungspläne von Stuttgart und Düsseldorf dreht, wie Automobilmanager oder die Bundesregierung. Denn es geht um Grundsätzliches. Das Stickstoffdioxid (NO2) in den Städten, das Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt, stammt zu 60 Prozent aus dem Verkehr. Fast drei Viertel des verkehrsbedingten NO2 wiederum quellen aus den Abgasrohren von Diesel-Pkw. Anders als beim Feinstaub, für den viele Quellen verantwortlich sind, ist die Quelle der NO2-Belastung eindeutig auszumachen. Um es klar zu sagen: Dass jetzt vor Gericht die Luftreinhaltepläne zweier Städte seziert werden, hat nichts mit dem „VW-Dieselskandal“ zu tun (der gerne verwendete Begriff ist im Übrigen irreführend, weil Abgas-Manipulationen bei einigen Herstellern aufgeflogen sind). Der Leipziger Termin ist Folge des jahrelangen Nichteinhaltens verbindlicher Werte. Darauf werden die Richter schauen, nicht auf Kosten oder Autofahrer-Befindlichkeiten. Indirekt freilich geht es schon um den „Diesel-Abgasskandal“. Denn wenn Pendler mit ihrem Dieselauto vielleicht in manche Städte bald nicht mehr einfahren können, liegt dies auch daran: Die EU hat zwar immer schärfere Grenzwerte beschlossen, doch in der Realität, auf der Straße, überschreiten die Autos die Werte um ein Vielfaches. Die Hersteller haben sich zwar bewegt und Software-Updates für Dieselmotoren bereitgestellt. Doch die Daten des Umweltbundesamtes zeigen klar: Das reicht nicht, um die NO2-Belastungen signifikant zu senken. Dazu bräuchte es ein nachträgliches Einbauen besserer Reinigungsanlagen im Auto – was eine mögliche Groko nach langem Zögern nun anpeilt. Doch sehr viele Fragen sind dabei noch offen, weil ein nachträglicher Einbau die Typzulassung gefährden könnte und Garantieprobleme heraufbeschwört. Außerdem: Wer bezahlt dafür? Der Druck auf die Politik und die Automobilwirtschaft ist enorm. Denn in wenigen Tagen läuft eine Frist ab, die die EU-Kommission gesetzt hat. Sie pocht ebenfalls auf die Einhaltung der NO2-Grenzwerte (nicht nur in Deutschland). Im Prinzip geht es um 20 deutsche Städte, in denen die NO2-Werte weit über den Normen liegen. Um die Situation rasch zu verbessern, bleiben eigentlich nur Fahrverbote. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts könnte den Weg dafür freimachen. Am einfachsten zu bewerkstelligen wäre dies über das Einführen der Blauen Plakette. Nur Diesel privater Nutzer, die sich so ausweisen können, dürften dann in alle Zonen dieser Städte fahren. Für die Blaue Plakette spricht auch: Nur so ließe sich trennen zwischen Dieselautos mit der Euro-6-Norm, die auch auf der Straße die Grenzwerte einhalten (Euro 6d), und manch älteren Euro-6-Modellen, die den für sie geltenden Grenzwert im Betrieb stärker überschreiten als Euro-5-Motoren. Die Situation ist verfahren. Doch schuld sind nicht die, die klagen. Sondern diejenigen, die jahrelang den Rechtsstaat ausgehebelt haben – auf Kosten der Gesundheit jener zumeist einkommensschwachen Menschen, die an den vielbefahrenen Straßen der Städte wohnen.

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