Politik Leitartikel: Kein großer Wurf

Der erste Etat der neuen großen Koalition ähnelt einem Flickenteppich.

Hier ein paar Milliarden mehr, dort neue Leistungen. Das kommt dabei

heraus, wenn man es möglichst vielen recht machen will. Die Entlastung von Bürgern

und Unternehmen kommt

wieder einmal zu kurz.

Der erste Haushalt einer neuen Regierung ist immer auch ein Empfehlungsschreiben für die nächsten vier Jahre. Was sich Union und SPD vorgenommen haben, wird im Etat in Zahlen gegossen. Insofern verdient der erste Entwurf von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) besondere Aufmerksamkeit. Um es vorwegzunehmen: Der Etatentwurf ist solide und steht damit in der Tradition der vergangenen Jahre. Der Sozialdemokrat Scholz hat bisher nicht erkennen lassen, dass er vieles anders machen wollte als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU). Scholz hält auch in den nächsten Jahren an der schwarzen Null fest, was mit Zahlen untermauert ist. Erfreulich ist auch, dass Deutschland spätestens 2019 eine Schuldenstandsquote von weniger als 60 Prozent des Sozialprodukts ausweisen wird – und damit den Maastricht-Vertrag einhält, der den EU-Ländern Sparsamkeit auferlegt. In Zeiten, in denen die Steuereinnahmen sprudeln, käme eine höhere Verschuldung Deutschlands allerdings auch einem Offenbarungseid gleich. Gemessen an den hohen Erwartungen ist der Etat dennoch eine Enttäuschung. Die Verteidigungsministerin ist unzufrieden, weil ihr Einzeletat zwar steigt, aber nicht so stark wie erhofft. Auch die Mittel für die Entwicklungshilfe werden nicht so aufgestockt, wie dies die Fachpolitiker für erforderlich halten. Ein Pluspunkt ist zwar die Steigerung der Investitionen in neue Straßen und Wohnungen. Dennoch macht sich Ernüchterung breit. Weil Bund und Länder seit einiger Zeit Überschüsse ausweisen, rechnen die Bürger damit, dass davon auch etwas bei ihnen ankommt. Doch von einer Entlastung kann kaum die Rede sein. Im Gegenteil: Die Steuerbelastung wird weiter ansteigen. Erst 2021 soll der Solidaritätszuschlag sinken, doch bis dahin ist es lange hin. Diese Zaghaftigkeit wird für die Regierung zum Problem. Union und SPD rühmen sich zwar großspurig eines Investitionspaketes für Bildung, Familien, Sicherheit und Entwicklung. In den nächsten vier Jahren sollen 46 Milliarden Euro zusätzlich für diese Schwerpunkte ausgegeben werden. Doch dabei handelt es sich zum Teil um abstrakte Vorhaben. Als einen Schwerpunkt sieht die Groko zudem die Entlastung der Bundesländer an: Rund acht Milliarden Euro sollen dafür in den nächsten vier Jahren fließen. Die Bürger werden davon wenig mitbekommen. Es handelt sich um Projekte aus Planungsstäben von Parteien und Ministerien. Mit der Lebenswirklichkeit der Menschen hat das oft wenig zu tun. Wie schwer es der Koalition fällt, ihr Zahlenwerk zu erklären, zeigen die Versuche des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder. Er rühmt das neue Baukindergeld für Familien. Dieses mag eine sinnvolle Unterstützung zur Eigentumsbildung sein, doch ein wohnungsbaupolitischer Aufbruch ist seine Einführung nicht. Der Finanzplanung fehlt eine Richtung. Der Wunsch, es allen recht machen zu wollen, führt zu einem Flickenteppich neuer Programme und Leistungen. Hier ein paar Milliarden, dort eine neue Förderung. Ein großen Wurf? Fehlanzeige. Positiv sind in erster Linie die finanzpolitischen Kennziffern, die Fortsetzung des soliden Kurses. Die Regierung wäre gut beraten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und hier Veränderungen voranzutreiben. Stattdessen werden neue Verschiebebahnhöfe in den Sozialkassen eröffnet. Und die Entlastung von Bürgern und Unternehmen kommt zu kurz – wie leider so oft in der Vergangenheit.

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