Politik Leitartikel: Machtkampf in Riad

Die Affäre um das Verschwinden des saudischen Journalisten Kaschoggi

wird in seiner Heimat Folgen haben. Die zahlreichen Feinde des

Kronprinzen Mohammed Bin Salman wittern Morgenluft. Riad hat nicht mit offenen Karten

gespielt und gedroht. Wer mag da noch irgendetwas glauben?

Bisher gibt es im Fall Kaschoggi nur eine Gewissheit: Der saudische Kolumnist der „Washington Post“ ist am 2. Oktober in das saudische Konsulat in Istanbul hineingegangen. Dann gehen die Versionen auseinander. Türkische Sicherheitskreise streuten schnell, Kaschoggi sei im Konsulat gefoltert, ermordet und dann zerstückelt in diplomatischen Fahrzeugen nach draußen gebracht worden. Saudi-Arabien hingegen behauptete, der Journalist habe das Konsulat nach einer Stunde wieder verlassen. Quicklebendig. Riad könnte die Wahrheit sagen. Aber es gibt keinen Beweis dafür. Keine Videobilder wie jene, die zeigen, dass er ins Konsulat ging. Die zweite Möglichkeit: Kaschoggi ist zu Tode gekommen. Dabei stellt sich aber die Frage, warum die türkischen Behörden die Video- und Audio-Beweise, in deren Besitz sie angeblich sind, nicht veröffentlichen. Möglich ist, dass sie das nicht tun, weil dadurch deutlich wird, wie die türkischen Sicherheitsbehörden das Konsulat ausspionieren. Ohnehin sind die Beziehungen zwischen der Türkei und Saudi-Arabien seit Jahr und Tag wegen ihrer unterschiedlichen Interessen im Syrienkonflikt angespannt. Die dritte und nicht unwahrscheinliche Möglichkeit ist, dass die Türkei tatsächlich von Anfang an besagte Beweise besaß, in der staatstreuen Presse Geschichten darüber lancierte und so bewusst Druck auf Riad ausübte. Es ginge also um einen Kuhhandel. Saudi-Arabien ist bekannt dafür, per Scheckbuch-Diplomatie Probleme aus dem Weg zu räumen. Jedenfalls zeichnet sich seit Tagen ab, dass Ankara und Riad gemeinsam einen Ausweg aus der Affäre suchen. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach persönlich mit König Salman Ibn Abd al-Aziz. Auch US-Präsident Donald Trump schaltete sich persönlich ein und telefonierte mit dem saudischen Herrscher. Montagabend hieß es dann plötzlich, es solle bald eine Erklärung geben, dass Kaschoggi tot sei, von gezieltem Mord aber nicht die Rede sein könne. Was im saudischen Königshaus gerade passiert, ist wahrscheinlich das Interessanteste an der Affäre. Sollte sich bewahrheiten, dass Kaschoggi durch saudische Agenten ermordet wurde, fiele es zurück auf den starken Mann im Staat, den Kronprinzen Mohammed Bin Salman. Der hat sich im eigenen Land genug Feinde geschaffen, auch unter den vielen Prinzen der Familie Saud. Einige wurden wochenlang in das Luxushotel Ritz Carlton gesperrt, bis sie Teile ihres (legitim oder illegitim erwirtschafteten) Vermögens überschrieben hatten. Da dürften jetzt einige auf Rache sinnen und die Messer wetzen. König Salman schlägt versöhnliche Töne an. Niemand könne die starken Beziehungen zur Türkei unterminieren, ließ er verlauten. Sein Kronprinz hüllte sich indes in vielsagendes Schweigen. Ob nun Mord oder nicht – Tatsache ist, dass Riad nicht mit offenen Karten gespielt hat und sich schnell in Drohungen erging. „Die saudische Wirtschaft hat bedeutenden Einfluss auf die Weltwirtschaft“, hieß es unzweideutig. Egal, was Riad nun als abschließende Erklärung verlautbart, wer mag dem noch Glauben schenken? Angesichts der multimilliardenschweren Beziehungen zwischen Saudi-Arabien, den USA, der Türkei und Europa wird das so laufen: Keine Regierung will eine Eintrübung der Geschäfte. Auch nicht die deutsche, die gemeinsam mit der französischen und der britischen gefordert hat, die Verantwortlichen „zu identifizieren“ und „zu gewährleisten, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden“.

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