Politik Leitartikel: Türkischer Teufelskreis

Die Währungskrise am Bosporus birgt auch Gefahren für Europa.

Von einer ökonomisch destabilisierten Türkei gehen

neben wirtschaftlichen vor allem politische Risiken aus. Präsident Erdogan will das

Ausmaß der drohenden Gefahr

natürlich nicht wahrhaben.

Die türkische Lira erlebt einen beispiellosen Absturz. Allein gestern hat sie zeitweilig mehr als ein Fünftel ihres Außenwerts verloren. Ausländische Urlauber mag die Abwertung freuen. Sie zahlen weniger fürs Essen im Restaurant oder für Souvenirs. Bekamen sie im vergangenen Sommer noch 4,11 Lira für einen Euro, waren es gestern erstmals mehr als sieben Lira. Für Europa insgesamt und insbesondere für Deutschland birgt diese Entwicklung erhebliche Gefahren. Aus der Währungskrise könnte schnell eine Bankenkrise werden. Das beträfe nicht nur die türkischen Geldinstitute. Spanische, französische und italienische Banken halten große Beteiligungen in der Türkei und könnten mit Kreditausfällen konfrontiert sein. Auch deutsche Banken sind in der Türkei stark exponiert. Die offenen Forderungen belaufen sich nach Angaben der Bundesbank auf knapp 21 Milliarden Euro. Viele türkische Unternehmen kommen in Schwierigkeiten, weil sie jetzt immer größere Lira-Beträge für die Bedienung ihrer Fremdwährungskredite aufbringen müssen. Kommt es in der Türkei zu dem von vielen Kapitalmarktexperten erwarteten Crash, wären auch rund 6500 deutsche Unternehmen betroffen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten am Bosporus und in Anatolien angesiedelt haben. Für die Türkei geht es nun vorrangig darum, den Lira-Verfall und die Inflation zu bremsen. Das einzig wirksame Mittel sind drastische Leitzinserhöhungen. Aber dagegen sträubt sich Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Er will niedrige Zinsen, um mit billigem Geld die Konjunktur weiter anzukurbeln. Doch die ist ohnehin bereits heiß gelaufen. So feuert Erdogan mit seinen Wachstumsprogrammen die Inflation weiter an. Die galoppierende Geldentwertung schürt die Angst vor einer harten Landung. Die Investoren verkaufen deshalb in großem Stil türkische Aktien und Anleihen. Das verstärkt den Abwertungsdruck auf die Lira – ein Teufelskreis. Eine Rezession in der Türkei wäre für Europa zwar wirtschaftlich zu verkraften. Trotz der engen Handelsbeziehungen zum Bosporus würde sie das Wachstum in der Eurozone nur marginal bremsen. Aber politisch ist die Entwicklung viel alarmierender. Auch wenn Staatschef Erdogan in den vergangenen Jahren auf Distanz zum Westen gegangen ist, bleibt die Türkei für die EU und die Nato ein wichtiger Anker an der Schwelle zum unruhigen Nahen Osten. Doch eine Türkei, die ins wirtschaftliche Chaos abstürzt, kann ihre Rolle als Sicherheitspartner nicht wahrnehmen. Deshalb muss dem Westen daran gelegen sein, das Land schnell zu stabilisieren. Wenn sie einen Zahlungsausfall vermeiden will, könnte die Türkei schon bald gezwungen sein, den Internationalen Währungsfonds zur Hilfe zu rufen. Wird der stolze Staatschef diesen Schritt tun? Sich einem Spardiktat des IWF zu unterwerfen, passt nicht zu den Allmachtsfantasien eines Erdogan. Er könnte aber am Ende keine andere Wahl haben. Gerade Erdogan müsste wissen: Finanzkrisen können in der Türkei politische Erdbeben auslösen. So war es 2001, in der letzten großen Bankenkrise. Sie fegte das damalige politische Personal fast komplett von der Bühne. Wie ein Komet stieg damals die islamisch-konservative AKP als neue Partei auf, Erdogan wurde endgültig zum Politstar. Jetzt schließt sich der Kreis. Gelingt es dem türkischen Staatschef nicht, die Krise abzuwenden, könnte sie ihn mitreißen. Das Gerede von einer „Verschwörung“ und der Ruf nach Gottvertrauen deuten allerdings nicht darauf hin, dass der Alleinherrscher einen Plan hat, die Krise zu lösen.

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