Politik Leitartikel: Taktische Feuerpause

Weniger die plötzlich beschworene Freundschaft mit der EU

als die Furcht vor einer Niederlage bei der Kongresswahl

hat Donald Trump zum Einlenken im Handelsstreit bewogen. Vorerst. Vor allem erkaufen sich Trump und Juncker Zeit. In weiten Teilen ist ihr „Deal“ nur symbolisch.

Wenn es eine Konstante im Handeln Donald Trumps gibt, dann ist es seine Unberechenbarkeit. Es ist noch keine zwei Wochen her, da nannte der amerikanische Präsident die Europäische Union einen Feind seines Landes. Am Mittwochabend tat er so, als wäre alles Vorangegangene nur belanglose Begleitmusik gewesen. Als wäre zuvor nichts passiert, stellte er bei einer ursprünglich nicht geplanten Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses bestes Einvernehmen mit dem Chef der EU-Kommission heraus. Schließlich folgte, über Twitter, ein Foto, das Trump mit Jean-Claude Juncker beim Männerkuss zeigt. Und darunter die launige Zeile, dass sie sich offensichtlich lieben, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten. Ganz so ist es nicht. Immerhin: Autozölle sind vorerst vom Tisch. Überhaupt wollen beide Seiten auf neue Zollschranken verzichten, solange sie über die Zukunft ihrer Handelsbeziehungen reden. Über ein Arrangement, das irgendwann alle Importabgaben und sonstigen Barrieren für Industriegüter – mit Ausnahme von Automobilen – beseitigen soll. „Ein Sieg für die Europäer“, kommentiert Michael Froman, einst Präsident Barack Obamas Handelsbeauftragter. Er verhandelte mit Brüssel über das letztlich gescheiterte TTIP-Abkommen. Man wisse ja, solche Gespräche zögen sich hin, so Froman, zumal die Interessen auch EU-intern keineswegs deckungsgleich seien. Ergo habe sich Europa eine Atempause erkauft. Immer vorausgesetzt, dass dem Mann im Oval Office in einer schwierigen Verhandlungsphase nicht doch noch der Geduldsfaden reißt. Im Gegenzug kann Trump Zugeständnisse als Erfolg verkaufen, in Feldern, auf denen ihm eine bislang verlässliche Anhängerschaft von der Fahne zu gehen drohte – in den Präriestaaten des Mittleren Westens. Farmer in Iowa, Kansas und Nebraska sollen ihre Sojabohnen nun auch nach Europa liefern, „sehr viele Sojabohnen“, wie der Präsident betonte. Bislang war China ihr wichtigster Markt. Ob die Exporte über den Atlantik ausgleichen, was sie im Zuge des Handelskrieges mit Peking an Einnahmen einbüßen, bleibt abzuwarten. Ähnlich verhält es sich mit dem Verkauf amerikanischen Flüssiggases an EU-Länder, einem Geschäft, das angekurbelt werden soll. Noch fehlt die nötige Infrastruktur, um es in wirklich großem Stil betreiben zu können. Kein Wunder, dass Experten wie Froman von eher symbolischen Siegen für Trump sprechen. Dass der Amerikaner überhaupt ein Wendemanöver fuhr, hat mit dem Druck zu tun, dem er sich ausgesetzt sah. Mit dem Druck der Wirtschaft, Druck aus der eigenen Partei. Autobauer aus Detroit, Ford oder General Motors, leiden schon jetzt unter gestiegenen Preisen für Stahl und Aluminium, eine Folge der Strafzölle, die vorerst in Kraft bleiben. 20-prozentige Aufschläge auf importierte Autoteile hätten ihre Gewinne noch deutlich stärker einbrechen lassen. So auch in Tennessee, einem wichtigen Standort für ausländische Autobauer. In Chattanooga betreibt Volkswagen ein Werk, an dem, Zulieferer eingeschlossen, Zehntausende von Arbeitsplätzen hängen. Überspannt Trump den Handelsbogen, riskiert er, dass manche seiner früheren Anhänger am nächsten Wahltag frustriert zu Hause bleiben. Republikanische Abgeordnete jedenfalls fürchteten die Rache der Enttäuschten, eine kalte Dusche bei den Kongresswahlen im November. Die Demokraten würden die Senatsmehrheit zurückerobern, der Präsident könnte nicht mehr gar so ungebremst regieren.

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