Politik Nach 367 Tagen Haft: Deniz Yücel ist frei

Yücel in der Nähe seiner Istanbuler Wohnung, kurz nach der Freilassung.
Yücel in der Nähe seiner Istanbuler Wohnung, kurz nach der Freilassung.

Überraschende Gerichtsentscheidung in Istanbul: Der deutsche Journalist darf nach Deutschland zurückkehren. Die Bundesregierung betont, dass mit der türkischen Regierung kein Gegengeschäft vereinbart worden sei.

«Ankara/Berlin.» Ein Gericht in Istanbul entließ den 44-jährigen Deniz Yücel, Journalist der Zeitung „Die Welt“, gestern nach über einem Jahr aus der Untersuchungshaft. Zugleich ließen die Richter eine Anklage der Staatsanwaltschaft zu, die wegen angeblicher Terror-Unterstützung bis zu 18 Jahre Haft für Yücel fordert. Reisebeschränkungen für Yücel wurden indes nicht erlassen. „Ich gehe davon aus, dass er das Land verlassen wird“, sagte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes betonte, dass es keinen „Deal in irgendeiner Form gegeben hat“, um die Freilassung zu erreichen. Zuvor gab es Berichten, denen zufolge die Türkei bereit sei, den Journalisten im Austausch für die Lieferung von Rüstungsgütern freizulassen. Yücel selbst hat einen „Deal“ abgelehnt. Der Journalist ist gestern Abend an Bord einer Maschine einer Chartergesellschaft auf dem Flughafen Berlin-Tegel eingetroffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dankte Gabriel, seinem Ministerium und „allen, die sich dafür eingesetzt haben“, dass Yücel freigekommen sei. Angeblich soll auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hinter den Kulissen an der Freilassung mitgewirkt haben. Gabriel seinerseits dankte der türkischen Regierung „für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung“. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes dämpfte allerdings Hoffnungen, die Freilassung sei ein Wendepunkt in den deutsch-türkischen Beziehungen. Angeblich sitzen noch fünf Deutsche in türkischen Gefängnissen. Gestern wurden sechs türkische Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Entscheidung des Istanbuler Gerichts wurde nur einen Tag nach dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Berlin verkündet. Mit dem Besuch sollten die angespannten Beziehungen zwischen den beiden Ländern verbessert werden. Der türkische Journalist Can Dündar befürchtet negative Konsequenzen aus der Freilassung Yücels auf die Pressefreiheit in der Türkei. Staatspräsident Erdogan wisse nun, „dass es möglich ist, über inhaftierte Journalisten zu verhandeln“, argumentierte der in Berlin im Exil lebende Ex-Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“. Vor seiner Festnahme hatte Yücel ein Interview mit einem Mitglied der kurdischen Arbeiterpartei PKK geführt. Die PKK wird von der Türkei als Terrororganisation eingestuft und ist auch in Deutschland verboten. Erdogan bezeichnete Yücel als deutschen Spion und kurdischen Agenten und schloss seine Freilassung aus. Gleichzeitig beharrte Ankara der Bundesregierung gegenüber immer darauf, dass sie keinen Einfluss auf die Justiz habe. Kommentar Seite 2

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