Politik Neue Berichte im Fall Kaschoggi: Siebenminütiger Todeskampf

Im Fall des in Istanbul verschwundenen saudischen Dissidenten Dschamal Kaschoggi veröffentlichen türkische Medien immer mehr schaurige Details. Recherchen der „New York Times“ belegen Verbindungen zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman und dem Kommando, das Kaschoggi getötet haben soll. US-Präsident Donald Trump verwahrt sich indes gegen eine Vorverurteilung des saudischen Königshauses.

Weder von türkischer noch von saudischer Seite gab es bis gestern schriftliche offizielle Erklärungen oder Pressekonferenzen im Fall Kaschoggi. Der saudische Journalist war am 21. Oktober verschwunden, nachdem er das Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul betreten hatte. Anlass war, dass er Papiere für die Hochzeit mit seiner türkischen Verlobten besorgen wollte. Seither häufen sich die vielsagenden Einlassungen türkischer Stellen, und es gibt zahlreiche Medienberichte, die sich auf anonyme Quellen des türkischen Sicherheitsapparates und auf nicht namentlich genannte saudische Quellen beziehen. Die dem Präsidialamt in Ankara nahestehende türkische Zeitung „Yeni Safak“ veröffentlichte gestern Informationen aus zahlreichen Audioaufnahmen, die ihr zugespielt wurden. Demnach wurde Kaschoggi erst gefoltert und dann binnen sieben Minuten ermordet. Angeblich sind ihm während eines Verhörs die Finger abgeschnitten worden, dann sei er enthauptet worden. Der saudische Konsul Mohammad al-Otaibi, der inzwischen die Türkei verlassen hat, ist in den Aufnahmen angeblich mit diesen Worten zu hören: „Macht das draußen, das wird Ärger für mich geben.“ Daraufhin habe ihm ein Mann erwidert: „Wenn du leben willst, sei still.“ Dem saudischen Journalisten, der für die „Washington Post“ als Kolumnist tätig war, soll eine unbekannte Substanz gespritzt worden sein, bevor ein Gerichtsmediziner des saudischen Sicherheitsapparates begonnen habe, Kaschoggis Körper auseinanderzusägen. Er soll dabei Kopfhörer getragen und Musik gehört haben. Die „New York Times“ hat Recherchen zu den von den türkischen Behörden veröffentlichten Namen des mutmaßlichen Mordkommandos veröffentlicht. Mindestens neun der 15 Verdächtigen arbeiteten demnach für den saudischen Sicherheitsapparat, das Militär oder für andere Ministerien. Das Hauptaugenmerk richtete die Zeitung auf Maher Abdulaziz Mutreb, der laut britischen Informationen 2007 der saudischen Botschaft in London zugewiesen war und der wahrscheinlich als Leibwächter des Kronprinzen Mohammad Bin Salman mit diesem immer wieder auf Reisen ging. Kronprinz Mohammed ist der starke Mann in Saudi-Arabien. Er führt ein ehrgeiziges Reformprogramm an und hat rücksichtslos Gegner kaltgestellt. Für den 33-Jährigen ist auch ein Bericht des „Wall Street Journals“ belastend: Demnach gehören die beiden Privatjets, mit denen das Killerkommando am 2. Oktober in Istanbul gelandet und am 3. Oktober wieder zurückgeflogen ist, der Firma Sky Prime Aviation Services. Diese war letztes Jahr vom saudischen Staat in Beschlag genommen worden, als der Kronprinz Teile seiner Familie und saudische Geschäftsleute in das Luxus-Hotel Ritz Carlton in Riad sperren ließ. Das Königshaus ließ nun streuen, dass es sich in der Affäre Kaschoggi um einen missglückten Verhör- und Entführungsversuch gehandelt habe. Als mögliches Bauernopfer wird der Vizechef des Geheimdienstes, Ahmed al-Assiri, gehandelt. Ihm wird nachgesagt, davon gesprochen zu haben, Kaschoggi auszuschalten. Über Konsul al-Otaibi hieß es gestern in der saudischen Zeitung „Sabq“, der Diplomat sei von seinem Posten suspendiert. Gegen ihn werde ermittelt. US-Präsident Donald Trump scheint zu versuchen, möglichen Schaden für seine Nahostpolitik und die Rüstungsgeschäfte der USA mit den Saudis abzuwenden. Saudi-Arabien habe bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten. Trumps Außenminister Mike Pompeo traf sich am Dienstag mit Kronprinz Mohammed in Riad und reiste danach in die Türkei, wo er gestern Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach. Öffentlich sagte Pompeo nur, Riad habe eine „ernsthafte und glaubwürdige Untersuchung“ in die Wege geleitet. Die Türkei setzt ihr Spiel fort, die Saudis zu belasten und doch auf Konfrontation zu verzichten. „Jeder soll auf das Ergebnis der Ermittlung warten“, sagte der türkische Innenminister Süleyman Soylu. Er selbst habe jedoch „Gewissheit“ über das Schicksal Kaschoggis.

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