Politik Neue Gesichter, neue Aufgaben

Es hatte etwas von einer Zaubershow im Kleinstadt-Varieté – es fehlte nur der Trommelwirbel: SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz verkündeten gestern im Willy-Brandt-Haus stolz die Namen der sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder. Und eines nach dem anderen trat lächelnd aus der Kulisse nach vorne ins Rampenlicht. Dass die Personalien weitgehend schon bekannt waren, raubte der Vorstellung etwas die Spannung, nicht aber den Akteuren die offenkundige Zufriedenheit. Der SPD ist es gelungen, nicht nur alte Bekannte und neue Gesichter für wichtige Posten zu gewinnen, sondern auch die Riege paritätisch mit Frau und Mann zu besetzen. Dass mit der gebürtigen Brandenburgerin Franziska Giffey eine Ostdeutsche ins Kabinett rückt, darf auch als Wink an die Union verstanden werden, in deren Ministeraufgebot sich niemand aus den neuen Ländern befindet. Die spannendste Personalie dürfte der Aufstieg von Heiko Maas zum Außenminister sein. Kein Wort gab es in diesem Zusammenhang zum scheidenden Amtsinhaber Sigmar Gabriel. Fragen waren ohnehin nicht erwünscht bei dieser Pressekonferenz. Auswärtiges Amt: Heiko Maas Es war eine Überraschung, als der damalige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel den Saarländer Heiko Maas 2013 als Justizminister ins Kabinett holte. Bis dahin war der einst gelehrige, aber brave Schüler Oskar Lafontaines der fast unsichtbare Juniorpartner der großen Koalition in Saarbrücken. Kaum in Berlin angekommen, überraschte der studierte Jurist ohne Justizerfahrung mit Selbstbewusstsein und einem ausgeprägten Sinn für Öffentlichkeitsarbeit. Seine Hinhaltetaktik bei der Vorratsdatenspeicherung ärgerte die Union ebenso wie sein Vorstoß zur Mietpreisbremse. Maas nutzte seinen gestiegenen Bekanntheitsgrad, um Rechtspolitik als Gesellschaftspolitik zu verkaufen, und mischte sich in alle denkbaren Debatten von der Gleichstellung bis zum Umgang mit rechtspopulistischen Strömungen ein. Bislang von nur mäßigem Erfolg gekrönt war das Bemühen des Saarländers, die internationalen Social-Media-Unternehmen in die Schranken zu weisen und ihnen Verhaltensregeln bei Hass-Kommentaren aufzudrücken. Die „Ehe für alle“, am Ende der Legislaturperiode von der SPD durchgeboxt, durfte der 51-Jährige dagegen als seinen Erfolg verkaufen. Außenpolitische Erfahrung hat Maas nicht. Gelobt werden seine Beharrlichkeit und sein diplomatisches Geschick. Finanzen und Vizekanzler: Olaf Scholz Eine Sache wird Olaf Scholz nicht los: seinen Spitznamen „Scholzomat“. Den bekam er, als er im Amt des SPD-Generalsekretärs unter Gerhard Schröder sich öffentlich zwar geschliffen, aber oft wenig inhaltsreich äußerte. Diese Kunst beherrscht der gebürtige Osnabrücker noch heute bei Bedarf, in der Regel drückt sich der 59-Jährige aber sehr präzise aus. Künftig wird er als Finanzminister und Vizekanzler neben Fraktionschefin Andrea Nahles das zweite Machtzentrum der Partei bilden. Sorgen um die „Schwarze Null“ muss er sich bei der aktuellen Kassenlage nicht machen. Die bundespolitische Bühne betrat Scholz 2007, als er Arbeitsminister in der ersten großen Koalition von Kanzlerin Merkel wurde. Vier Jahre später verabschiedete er sich nach Hamburg, wo er zum Bürgermeister gewählt worden war. Dort hatte er gute Jahre, sieht man von den Turbulenzen rund um das Treffen der G-20 im vorigen Jahr ab. Die Parteibasis schätzt den klugen Kopf, geliebt wird der hanseatisch-kühle Analyst nicht. Justiz und Verbraucherschutz: Katarina Barley Wenn jemand den Anspruch erheben kann, eine politische Blitzkarriere hingelegt zu haben, dann ist es Katarina Barley. Die 49-jährige gebürtige Kölnerin ist erst in der vorigen Legislaturperiode in den Bundestag gewählt worden und wurde sogleich Justiziarin der SPD-Fraktion. Dann wählte die SPD sie zur Generalsekretärin, am Ende war sie in der Nachfolge von Manuela Schwesig Bundesfamilienministerin – und nun wird sie Justizministerin. Barley bringt eine gewisse Weltläufigkeit von zu Hause mit. Ihr Vater war Brite, ihr Ex-Mann Spanier, ihre Kinder wachsen dreisprachig auf. Sie selbst hat in Paris studiert und lebt heute in Trier. Die promovierte Juristin hat in ihrem Fachbereich viele Erfahrungen gesammelt. So begann sie ihre Karriere in Mainz, wo sie im wissenschaftlichen Dienst des Landtags und später im Justizministerium arbeitete. Weitere Stationen waren das Bundesverfassungsgericht sowie Richterstellen in Rheinland-Pfalz. Barley ist schlagfertig und durch und durch politisch. Dass sie dabei unverdrossen lächeln kann, brachte ihr schon viele Sympathien ein. Mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ist sie freundschaftlich verbunden. Familie, Senioren, Frauen, Jugend: Franziska Giffey Sie ist die große Unbekannte dieser SPD-Kabinettsliste, auch wenn Franziska Giffey schon überregional Schlagzeilen gemacht hat. Als Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Neukölln ist sie eine Kommunalpolitikerin, die nun in die Bundespolitik aufsteigt. Gleichwohl sollte man ihr Amt nicht unterschätzen. Neukölln hat 380.000 Einwohner und damit gut doppelt so viele wie beispielsweise Ludwigshafen. Ein hoher Ausländeranteil und überdurchschnittliche Arbeitslosenquoten prägen den Bezirk. Die 39-Jährige hat sich in Neukölln mit klaren Ansagen rasch Ansehen erworben. Eltern an ihre Pflichten erinnern, energisch gegen Schulschwänzer vorgehen, möglichst verbindliche frühkindliche Bildung einfordern und auch mal per Wachschutz für Ordnung an Neuköllner Schulen sorgen - das ist die Agenda der gebürtigen Brandenburgerin, die 2015 die Nachfolge des über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Bürgermeisters Heinz Buschkowsky angetreten hatte. Der integrationspolitische Hardliner war ihr Mentor, auch wenn sie nicht alle Überzeugungen Buschkowskys sich zu eigen machte. Dass „Multi-Kulti“ gescheitert sei, zählt jedenfalls nicht zu Giffeys Überzeugungen. Aufgewachsen ist Giffey in einem Dorf zwischen Fürstenwalde und Frankfurt an der Oder, der Vater war Kfz-Meister, die Mutter Buchhalterin. Giffey absolvierte ein Studium der Verwaltungswissenschaften und promovierte im Fach Politikwissenschaft über „Europas Weg zum Bürger“. Arbeit und Soziales: Hubertus Heil Obwohl er der zweitjüngste in der SPD-Ministerriege ist, wirkt Heil wie ein im politischen Geschäft schon längst gereifter Politiker. Schon häufig war er als Minister im Gespräch, bislang hat es indes nie geklappt. Ein Schicksal als „ewiges Talent“ scheint mit seiner Berufung ins Kabinett nun also abgewendet. Der 45-Jährige aus Niedersachsen ist sattelfest in den Bereichen Wirtschaft, Energie und Bildung. In der SPD-Fraktion schätzt man seine Fachkompetenz. Eng vertraut ist er auch mit den Kernthemen der Sozialdemokratie: Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Zweimal führte er das Willy-Brandt-Haus als Generalsekretär, beide Male endeten die von ihm organisierten Wahlkämpfe für die SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz in Niederlagen. Heil wurde dies aber nie angelastet. In seinem neuen Amt tritt er die Nachfolge von Andrea Nahles an, die ein gut organisiertes Haus hinterlassen hat. Umwelt und Reaktorsicherheit: Svenja Schulze Der Aufstieg der gebürtigen Düsseldorferin ist eng mit der früheren Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, verbunden. Kraft machte Schulze 2010 zur Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Dort verfolgte die heute 49-Jährige unter anderem ein rot-grünes Kernanliegen, die Abschaffung der Studiengebühren. In Schulzes Amtszeit gehört auch die sogenannte Atomkugel-Posse. Es ging um angeblich verschwundene Brennelemente-Kugeln im Reaktor Jülich. Ein Fall, der sich in Luft auflöste, weil sein Ursprung ein Missverständnis war. Derzeit ist Schulze Generalsekretärin des NRW-Landesverbands.

Franziska Giffey
Franziska Giffey
Svenja Schulze
Svenja Schulze
Hubertus Heil
Hubertus Heil
Katarina Barley
Katarina Barley
x