Transplantation Organspende: Lauterbach erleichtert die Regeln

Warten, warten, warten: Bei einer Werbeaktion für die Organspende der Stiftung Fürs Leben wurden 2014 Plakatmotive von Patienten
Warten, warten, warten: Bei einer Werbeaktion für die Organspende der Stiftung Fürs Leben wurden 2014 Plakatmotive von Patienten gezeigt, die seit Jahren ein Spenderorgan benötigen und nur durch die Dialysebehandlung noch leben.

Gesetzentwurf sieht vor, den Kreis möglicher Spender um Menschen zu erweitern, die keine enge Bindung zum Empfänger haben.

Viele Jahre stieß Susanne Reitmaier auf taube Ohren. Was in anderen Ländern wie Spanien, Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden längst üblich ist, war in Deutschland nicht umsetzbar. Nämlich dass ein Partner aus einem fremden Paar sein Organ dem Partner eines anderen fremden Paares spendet, der auf eine Niere angewiesen ist, und umgekehrt. Bisher ist es so, dass Spender und Empfänger sich „in besonderer persönlicher Verbundenheit nahestehen“ müssen. Es darf nur ein naher Verwandter, der Partner oder ein enger Freund sein Organ spenden, sofern wichtige Merkmale passen. Die Überkreuz-Spende unter Fremden ist ausgeschlossen. Nun soll das Transplantationsgesetz sich öffnen für diese Lösung, mit der die Anzahl von Patienten sinken soll, die auf der Organ-Warteliste stehen.

Überkreuz-Spende als Lösung

Susanne Reitmaier kämpfte acht Jahre lang für diese Reform. Ihre Tochter war elf Jahre alt, als deren Nieren versagten. Es drohte die Dialyse, die Blutwäsche über eine „künstliche Niere“. Die Maschine ist ein Segen, aber die Behandlung ist kräftezehrend und keine Garantie auf ein langes Leben. Ihr Vater spendete der Tochter eine seiner Nieren. Als Jahre später diese nicht mehr arbeitete, bot sich eine Tante für eine zweite Lebendspende an. Doch die immunologischen Merkmale beider Frauen stimmten nicht überein, eine Transplantation wäre sinnlos gewesen.

Susanne Reitmaier gab nicht auf und suchte in Spanien nach Spender- und Empfängerpaaren, bei denen die medizinischen Voraussetzungen für eine Lebendspende gegeben waren. Über einen Ringtausch erhielt ihre Tochter auf diese Weise eine neue Niere – und eine andere Person profitierte von der Nierenspende der Tante. „Das Glück war kaum zu fassen, als unsere Tochter das Organ erhielt“, erinnert sich die heute 65-Jährige im Gespräch mit der RHEINPFALZ.

Mittlerweile ist die Tochter längst erwachsen und selbst Mutter geworden, ihr und ihrem Kind geht es gut. Für Susanne Reitmaier war das aber nicht das Ende einer schönen Geschichte, sondern der Anfang eines langen Kampfes. Sie nahm sich vor, für die Überkreuz-Spende zu werben. „Ich dachte mir, das muss doch auch in Deutschland möglich sein“, erzählt Reitmaier, „aber viele Gesundheitspolitiker interessierte das nicht.“

Der Tod auf der Warteliste

Sie kontaktierte Kliniken, Ministerien und Verbände. Die Reaktionen waren ernüchternd. Erst als ihre Internetseite crossover-nierenspenderliste.de ans Netz ging, erhielt Reitmaier ein freundliches Echo. Mit einer Mathematikerin von der TU Berlin entwickelte sie ein bereits bestehendes Computerprogramm weiter, mit dessen Hilfe Paaren geholfen werden kann, von denen jeweils ein Teil spendenbereit ist und der andere eine Spende benötigt, die aber nicht untereinander spenden können.

Es gelang Susanne Reitmaier bis jetzt, sechs Paare zueinander zu bringen. „Das war ein bisschen wie bei einem Heiratsinstitut“, schmunzelt sie. Die Fremden lud sie in ihre Heimatstadt Wolfsburg ein, damit diese sich kennenlernten und so ein „Näheverhältnis“ entstehen konnte, wie es das Transplantationsgesetz vorschreibt. Gemeinsam gingen sie dann in die Behandlung. Derzeit hat Reitmaier 60 Paare in der Datenbank.

Kein Organhandel erlaubt

Fast 6700 Patienten standen 2023 auf der Warteliste für eine Nierentransplantation, im gleichen Jahr wurden 2122 Nieren transplantiert, darunter 608 Lebendspenden. 289 Patienten auf der Warteliste starben im vorigen Jahr, bevor sie eine Niere erhalten konnten. Manchmal ist eine Transplantation auch nicht mehr möglich, weil sich der Gesundheitszustand in den Jahren des Wartens und der Dialysebehandlung erheblich verschlechtert hat. Nach Zahlen des Bundesverbands der Organtransplantierten hätten in den vergangenen drei Jahren etwa 16 Prozent mehr Nierentransplantationen mit Lebendspenden durchgeführt werden können, wäre die Überkreuz-Spende eine übliche Praxis.

Mittlerweile herrscht in allen Parteien die Einsicht vor, dass es keine vernünftigen Gründe gibt, den Kreis der Spender nur auf jene Menschen zu beschränken, die eine Bindung zueinander haben. Befürchtungen, dass durch die Überkreuz-Spende verdeckte kommerzielle Vermittlungstätigkeiten entstehen, haben sich in keinem westlichen Staat bestätigt.

Datenbank muss aufgebaut werden

Tatsächlich bestand lange die Sorge, dass eine Aufhebung des „Näheverhältnisses“ den gewerbsmäßigen Organhandel ermöglichen würde. Bei Überkeuz-Spende zahlt aber keiner der Tauschpartner Geld oder nimmt welches an. Das System funktioniert nach dem Motto „Niere gegen Niere“.

Mit den Vorschlägen aus dem Hause von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) soll ab 2025 die Überkreuz-Spende in Deutschland problemlos praktiziert werden.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Matthias Mieves (Kaiserslautern) sieht in der Novelle des Transplantationsgesetz zwei Ziele erfüllt: „Wir können so die Anzahl der Lebendspenden erhöhen und gleichzeitig die Kommerzialisierung ausschließen.“ Dafür müsse nun eine staatlich geführtes und digital gestütztes Register aufgebaut werden, für das sich Paare registrieren können, um immunologisch geeignete Spender-Empfänger-Paare zu finden.

Nach dem Entwurf Lauterbachs ist künftig in Deutschland auch die an keine Person gerichtete selbstlose (altruistische) anonyme Nierenspende möglich.

Am Ziel: Susanne Reitmaier hat für Nierenkranke viel bewegt.
Am Ziel: Susanne Reitmaier hat für Nierenkranke viel bewegt.
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