Gesundheit Patientenakte: Verbraucherschützer ermahnen Krankenkassen

Die gesamte Krankengeschichte auf Knopfdruck: Die elektronische Patientenakte gilt als großer Fortschritt, ruft aber bei manchen
Die gesamte Krankengeschichte auf Knopfdruck: Die elektronische Patientenakte gilt als großer Fortschritt, ruft aber bei manchen Menschen wegen der großen Menge gespeicherter Daten Skepsis hervor.

Wer weder Smartphone noch Computer hat, schaut erst mal in die Röhre, wenn er gegen die elektronische Patientenakte Widerspruch einlegen will.

Die elektronische Patientenakte (Abkürzung: e-PA) hat zweifellos viele Vorteile. Auf Knopfdruck kann ein Arzt die gesamte Krankengeschichte eines Patienten einsehen – von Behandlungen und Operationen über Vorsorgeuntersuchungen und Röntgenbildern bis hin zu verschriebenen Medikamenten. Ärzte mit neuen Patienten können sofort erkennen, was bisher gemacht wurde, wo Risiken liegen und zusätzliche Vorsorge sinnvoll ist.

Gesetzlich Versicherte werden Anfang nächstens Jahres die e-PA automatisch erhalten. Ein solches Dossier mit persönlichen Gesundheitsdaten stößt bei einigen Menschen aber auch auf Skepsis. Ihnen ist die digitale Akte suspekt. Daher schreibt das Gesetz auch ausdrücklich eine Widerspruchsmöglichkeit gegen die Akte vor. Und hier beginnen die Probleme.

„Sie brauchen nichts zu tun“

In diesen Tagen erhalten viele Versicherte Post von ihrer Krankenkasse. Die meist sehr knapp gehaltenen Schreiben informieren vor allem über die Vorteile der e-PA und schließen meist mit dem vordergründig beruhigenden Satz: „Sie brauchen nichts zu tun, wir kümmern uns um alles.“ Wer weiter liest, erfährt auch, dass er der Anlage einer solchen Patientenakte widersprechen kann.

Die Barmer Ersatzkasse (8,7 Millionen Versicherte) fordert ihre Versicherten auf: „Scannen Sie den nebenstehenden QR-Code. Er führt Sie zu einem Online-Formular.“ Die Knappschaft-Krankenversicherung (1,2 Millionen Versicherte) verweist auf eine Seite im Internet, wo Widerspruchsformulare hinterlegt sind. Die AOK Rheinland-Pfalz schickt ihren 1,2 Millionen Versicherten den Link zu einer eigens eingerichteten Homepage, wo „schnell und unkompliziert Widerspruch“ eingelegt werden kann.

Für Menschen, die weder Smartphone noch Internet-Computer besitzen, solche Geräte nicht bedienen wollen oder aus unterschiedlichen Gründen nicht bedienen können, ist der Weg zum Widerspruch gegen die e-PA sehr steinig. Gerade ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung haben Probleme mit der digitalen Welt, sie sind zunächst ratlos, wie sie im Falle eines Widerspruchwunsches vorgehen sollen.

Informationen unzureichend

Verbraucherschützer halten das Vorgehen der Krankenkassen nicht für angemessen. „Auch wenn noch zu prüfen ist, ob die Versicherten einen rechtlichen Anspruch auf analoge Widerspruchsmöglichkeiten haben, stellt sich doch die Frage, ob dieses Vorgehen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Versicherten beim Umgang mit den eigenen Gesundheitsdaten entspricht“, sagt Thomas Moormann, Leiter des Teams Gesundheit und Pflege beim Bundesverband der Verbraucherzentralen auf Anfrage der RHEINPFALZ.

Es sei weder zweckmäßig noch vertrauenserweckend, wenn Krankenkassen den Widerspruch gegen die e-PA nicht barrierefrei ausgestalteten. Auch seien die Kurzinformationen vieler Krankenkassen unzureichend „und klären nicht annähernd über Sinn, Zweck und mögliche Nachteile der e-PA auf“. Viele Kassen weisen auf eine 40-seitige Aufklärungsbroschüre hin, die – erwartungsgemäß – online abrufbar ist. Auch Frage-Antwort-Informationen über die Patientenakte gibt es lediglich im Internet.

Das Gesetz schreibt vor, dass Krankenkassen Ombudsstellen einrichten müssen, bei denen die Versicherten auch analog ihren Widerspruch hinterlegen können. Außerdem heißt es, die Kassen hätten geeignetes Informationsmaterial „in einer klaren und einfachen Sprache und barrierefrei zur Verfügung zu stellen“.

AOK mit Hotline-Nummer

Die Barmer erklärte auf Anfrage, die Versicherten könnten auch in einer Geschäftsstelle oder mit einem formlosen Brief widersprechen. Es bestehe keine Verpflichtung, einen Widerspruch online einzureichen. Darauf verweist die Krankenkasse in ihrem Schreiben an die Versicherten allerdings nicht. Der Text erweckt den Eindruck, ausschließlich online sei Widerspruch möglich. Die Knappschaft erklärte: „Unsere Versicherten können selbstverständlich analog widersprechen.“ In ihrem Informationsschreiben ist jedoch davon nirgends die Rede. Die AOK Rheinland-Pfalz erwähnt zumindest eine „Hotline-Nummer“, die Widerspruch-Meldungen telefonisch entgegennimmt und verweist auf die regionalen AOK-Kundencenter.

Verbraucherschützer Moormann kündigte an, mit Vertretern aus der Politik zu reden und an sie zu appellieren, für bessere und neutrale Informationen und barrierefreie Widerspruchsmöglichkeiten zu sorgen.

Mieves: „Wir dürfen niemanden vergessen“

Matthias Mieves, SPD-Gesundheitspolitiker aus Kaiserslautern, hat federführend für die SPD-Fraktion das Gesetz zur Patientenakte ausgehandelt. Er kann das Vorgehen der Krankenkassen nicht verstehen, insbesondere nicht die kurz gehaltenen Informationsschreiben. „Im Gesetz steht klar, dass ich auch offline widersprechen kann. Die Kassen müssen dafür Stellen einrichten und entsprechend informieren.“ Dafür sei noch bis 15. Januar Zeit. „Wir dürfen niemanden vergessen, nur weil er nicht online sein möchte oder nicht online sein kann. Auch für Menschen ohne Internetzugang hat die e-PA große Vorteile, aber der Verzicht darauf muss barrierefrei möglich sein.“ Der Südpfälzer CDU-Abgeordneten Thomas Gebhart verweist darauf, dass die Union in einem Bundestagsantrag den barrierefreien Zugang zum Widerspruch eingefordert hat. Das Bundesgesundheitsministerium plant nach eigenen Angaben eine Informationskampagne zur Patientenakte.

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