Glosse Polit-Satire an ungewöhnlichem Ort

Wo sonst Politiker sprechen: „Ministerpräsident“ Fabian Hinrichs in der Bundespressekonferenz.
Wo sonst Politiker sprechen: »Ministerpräsident« Fabian Hinrichs in der Bundespressekonferenz.

Wenn in der Berliner Bundespressekonferenz plötzlich Schauspieler agieren

Wenn Sprecher der Bundesregierung, Vertreter der Opposition, Parteivorsitzende oder Sachverständige etwas Wichtiges zu sagen haben, sieht man sie häufig vor einer blauen Wand. Es ist die Stirnseite des Saales der Bundespressekonferenz in Berlin. Dort fielen schon bemerkenswerte Worte wie etwa „Wir schaffen das!“ oder „Ich bin mit mir im Reinen“. Beides übrigens Zitate von Kanzlerin Angela Merkel. 29 Mal saß sie in ihrer Amtszeit vor der blauen Wand und gab – mal ausführlich, mal einsilbig – Auskunft über aktuelle politische Fragen und persönliche Befindlichkeiten. Ihr Nachfolger Olaf Scholz schaffte es bisher auf drei Auftritte.

Das Besondere an der Bundespressekonferenz ist, dass hier Journalisten die Gastgeber sind, nicht die Regierung oder die Parteien. Das ist in keinem anderen Land der Welt so. Kein Fragesteller wird herausgepickt, jeder, der sich meldet, kommt dran.

Lehrreiches Gedankenexperiment

Das ist schon seit 75 Jahren so, weshalb der Verein Bundespressekonferenz dieser Tage ein Jubiläum feiert – und das auf ungewöhnliche Weise. Denn erstmals durfte vor der blauen Wand ganz offiziell Theater gespielt werden. Die wichtigste Verlautbarungsbühne im politischen Tagesgeschäft wurde Schauplatz eines lehrreichen Gedankenexperiments. Aufgeführt wurde das Stück „Ein Volksbürger“, das zeigt, wie leicht ein gewählter Populist über einfache Verwaltungsakte einen Rechtsstaat mit den eigenen Instrumenten zerstören kann. So werden in einem nicht näher bezeichneten Bundesland die Akten von Flüchtlingen einfach nicht mehr bearbeitet – die Schutzsuchenden landen in der Obdachlosigkeit.

Erschreckend realistisch

In dem vom Verfassungsjuristen Maximilian Steinbeis konzipierten und von Regisseurin Nicola Hümpel inszenierten Planspiel folgt eine Pressekonferenz auf die nächste. Der charmante und eloquente Volkstribun, leicht irre gespielt von Fabian Hinrichs („Tatort“ Franken), weigert sich Fragen zu beantworten und spult lieber frech seine Agenda ab. ZDF-Reporter Theo Koll, der sich routiniert selbst spielt, ist chancenlos, wenn er die wahren politischen Ziele des Blenders herausfinden will. Erschreckend realistisch sind auch die formalistischen Statements der Sprecherin der Bundesregierung. Was für eine Farce!

Das aufrüttelnde Stück über eine friedliche Machtergreifung ist in der Arte-Mediathek abrufbar.

x