Politik Politik auf dem Rücken der Kinder

Es ist nicht zuletzt der Schnappschuss eines Reporters, der Donald Trump in die Defensive zwingt. Auf dem Bild ist ein zweijähriges Mädchen zu sehen, in Tränen aufgelöst, während Grenzpolizisten seine Mutter abtasten. Das Foto hat maßgeblich dazu beigetragen, dass im US-Kongress etwas geschieht, was man seit langem nicht mehr erlebt hat. In den Reihen der Republikaner, die sich längst zu einer Trump-Partei gewandelt haben, regt sich Widerstand. Prompt hat Trump reagiert. Gestern Mittag kündigte er an, die Trennungen von Migrantenfamilien in Kürze beenden zu wollen. Und wenige Stunden später unterzeichnete er ein Dekret, um diese Praxis zu stoppen. Er wolle „Familien zusammenhalten“, sagte der Präsident. An seinem Ziel, mit Härte gegen die illegale Einwanderung vorzugehen, will er jedoch festhalten. Selbst Mitch McConnell, die Nummer eins der Konservativen im Senat und bisher die Personifizierung des Schulterschlusses mit dem Weißen Haus, war wegen der Familientrennungen auf Distanz gegangen und hatte einen Gesetzentwurf angekündigt, der dem Auseinanderreißen illegal eingewanderter Familien einen Riegel vorschieben soll. Alle 51 Senatoren seiner Fraktion, betont McConnell, sähen es genauso wie er. Dass Minderjährige nach dem Überqueren der mexikanischen Grenze von ihren Eltern getrennt werden, halten nur noch die hartnäckigsten Anhänger Trumps für angemessen. Aktuellen Umfragen zufolge wenden sich 70-Prozent der Amerikaner gegen die seit Mai praktizierte „Null Toleranz“ im Umgang mit Immigranten. Selbst evangelikale Geistliche, normalerweise eine feste Stütze des Präsidenten, übten Kritik. Franklin Graham, Sohn des verstorbenen Fernsehpredigers Billy Graham, sprach von einer Schande. Für Aufruhr in Kirchenkreisen sorgte allein schon ein Satz von Sarah Sanders, der Sprecherin des Weißen Hauses, die erklärt hatte, es sei „sehr biblisch, das Gesetz durchzusetzen“. In einem Satz: Trump, der seinen Wahlsieg auch der von ihm gepredigten Härte in der Einwanderungspolitik zu verdanken hat, hat den Bogen überspannt. Als er Gegenwind verspürte, versuchte Trump zunächst der Opposition die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die Demokraten, twitterte er, trügen die Verantwortung, sie seien „schwach und ineffizient“, wenn es um die Sicherheit der Grenze gehe. Worauf der demokratische Senator Chuck Schumer erwiderte, es liege allein in der Macht des Staatschefs, die skandalösen Zustände aus der Welt zu schaffen: „Der Präsident kann diese Krise mit einem Federstrich beenden, und genau das muss er jetzt tun.“ Tatsächlich sind es falsche Anschuldigungen, mit denen Trump vom eigenen Tun ablenken will. In Wahrheit hat bereits Barack Obama versucht, den Zustrom von Menschen einzuschränken, die ohne Visum über den Rio Grande setzen oder sich in Arizona durch unwegsames Halbwüstenterrain schleusen lassen. Nur gingen weder Obama noch dessen Vorgänger George W. Bush so weit, Kinder von ihren Eltern zu trennen. Wer mit seinem Nachwuchs illegal ins Land kam, erhielt einen Termin bei einem Gericht, das über den Status entscheiden sollte. Erst die Regierung Trump schaltete auf „Null Toleranz“ um. Seitdem werden alle, die ohne Einreisebewilligung an der Grenze auftauchen und nicht freiwillig wieder umkehren, wie Straffällige behandelt. Ausnahmen gibt es nicht. Das Prozedere gilt auch für die Kinder von Müttern und Vätern, die aus Verzweiflung über Bandenkriminalität und Perspektivlosigkeit in Ländern wie El Salvador, Guatemala und Honduras ihr Lebensglück in den USA suchen. Allein zwischen dem 5. Mai und dem 9. Juni wurden nach offiziellen Angaben 2342 Minderjährige von ihren Erziehungsberechtigten getrennt. In über 100 Fällen waren es Kleinkinder, nicht einmal vier Jahre alt. Wenn man wegen illegalen Grenzübertritts Klage gegen die Eltern erhebe, müsse man ihnen halt auch die Kinder wegnehmen, bekräftigte Trump noch am Dienstag in der Pose des durch nichts zu Erschütternden. Gestern nun ruderte er zurück – aus emotionalen Gründen, wie er sagte: „Wir haben Mitgefühl.“

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