Politik Politiker und die Macht: Die gefühlt Unersetzlichen

Über neun Jahre lang war Horst Seehofer in Personalunion CSU-Parteichef und Bayerns Ministerpräsident. Heute wollen die Christsozialen auf ihrem Parteitag in Nürnberg die Weichen für eine Ämtertrennung stellen. Markus Söder soll künftig aus der Staatskanzlei den Freistaat führen, Seehofer Parteivorsitzender bleiben. Ist der 68-Jährige auch einer, der nicht loslassen kann?

Man kennt das. Schon Konrad Adenauer wurde nachgesagt, den richtigen Zeitpunkt zum Rückzug aus der ersten Reihe der Politik komplett verpasst zu haben. Auch Horst Seehofer hat den Absprung verpasst. Im Sommer 2015 hat der 68-Jährige zur Kenntnis gegeben, er wolle einen „friedlichen Übergang“ der Macht bei den Christsozialen organisieren. Doch nichts war friedlich in der „Vorstufe zum Paradies“ in den vergangenen Monaten. Weil Seehofer nach seiner Ankündigung 2015 rhetorische Volten fuhr, nicht wirklich von der Macht lassen und sie schon gar nicht seinem Rivalen Markus Söder auf dem Silbertablett servieren wollte.

Von einer Art Hybris befallen

Seehofer scheint von einer Art Hybris befallen zu sein. Wie viele Mächtige vor ihm. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich für unersetzlich halten. Sie überhöhen sich – und trauen potenziellen Nachfolgern viel weniger zu als sich selbst. Adenauer, beispielsweise, versuchte erfolglos, mit allerlei Finten Ludwig Erhard als seinen Nachfolger im Kanzleramt zu verhindern. Adenauer sprach der Verkörperung des Wirtschaftswunders die politischen Führungsqualitäten ab. Später dann mischte sich „der Alte von Rhöndorf“ störrisch immer wieder ein. Aus dem Wahlkampf des Jahres 1965 ist dieses offenbar häufig gebrauchte Adenauer-Zitat überliefert: „Ich habe das Gefühl, als wenn ich hier und dort noch notwendig wäre. Vor allem dann, wenn die außenpolitische Lage sich zuspitzt.“

Schäuble als Kronprinz

Der Kanzler Helmut Kohl hatte zunächst Wolfgang Schäuble zu seinem Kronprinzen ausgerufen. Dann mochte der Machtmensch Kohl doch nicht loslassen. Zur Bundestagswahl 1998 trat er wieder als Kanzlerkandidat für CDU und CSU an. Europa zusammenzuhalten, den Euro einzuführen und einiges mehr – all das traute er Wolfgang Schäuble nicht zu. Was Kohl damals nicht begriffen hatte: Das Wahlvolk war dieses Kanzlers längst überdrüssig. Realitätsignoranz und Selbstgerechtigkeit sind weitere Eigenschaften der angeblich Unersetzlichen. Kohl wurde bekanntlich abgewählt – und der Euro ist dennoch gemeinsame Währung geworden.

Biedenkopf war „König Kurt“

Kurt Biedenkopf litt unter Vermessenheit. Der CDU-Mann selbst hielt sich für den Besten. Er redete nicht, er dozierte. Als Ministerpräsident von Sachsen belehrte er die Bundesregierung in Bonn, in Dresden aber mochte er Andersdenkende nicht. Biedenkopf war „König Kurt“. Er glaubte, sich allerlei irdische Affären leisten zu dürfen. 2002 trat der gebürtige Ludwigshafener unter dem Druck der Affären dann doch zurück. Wer lange regiert, läuft offenbar Gefahr, Realitäten nicht mehr zutreffend einschätzen zu können. Bernhard Vogel war von 1976 bis 1988 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Zugleich war Vogel Parteichef im Land. Nachdem die CDU bei der Landtagswahl 1987 die absolute Mehrheit verloren hatte, trat Hans-Otto Wilhelm auf den Plan. Der wollte die Ämtertrennung. Vogel lehnte ab. Er verknüpfte sein Verbleib im Amt des Ministerpräsidenten mit dem Parteiposten. Ein CDU-Landesparteitag stimmte indes deutlich gegen Vogel ab. Tief getroffen trat er ab mit den inzwischen schon legendären Worten: „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ Vogel hatte die Lage falsch eingeschätzt und fühlte sich offenbar unangreifbar.

Lange unangreifbar

Seehofer hat sich lange auch unangreifbar gefühlt. Dabei hatte er den 50-jährigen Markus Söder im Nacken. Seehofer war Getriebener, auch beim Streit über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, insbesondere die der Kanzlerin. Seehofer wollte nicht zur Kenntnis nehmen, dass seine Autorität und sein Ansehen spätestens nach dem schwachen CSU-Ergebnis bei der Bundestagswahl (38,8 Prozent, minus 10,5 Prozentpunkte) geschrumpft war. Erst als Seehofer die Stärke Söders in der bayerischen CSU-Landtagsfraktion und in Teilen der Partei spürte, war er zum Teilrückzug bereit. Der soll heute auf dem Parteitag in Nürnberg vollzogen werden.

Signale nicht gehört

Dabei hätte Seehofer von Berlin aus als Bundeslandwirtschaftsminister beobachten können, wie Autorität und Ansehen einer seiner Vorgänger einst zerbröselt ist: Edmund Stoiber. Der hätte nach der Bundestagswahl 2005 ins erste Kabinett Angela Merkels eintreten können. Er hätte sich sogar zum Präsidenten der EU-Kommission befördern lassen können. Doch Stoiber zauderte und zauderte. Er machte sich zunehmend zum Gespött, selbst bei den eigenen Leuten. Doch der damalige CSU-Chef hörte die Signale nicht. Eine bis dahin völlig unbekannte Fürther Landrätin – Gabriele Pauli – machte Stoiber zu schaffen. Sie leitete sein Ende ein. Am Ende musste der Uneinsichtige von der eigenen Partei aus dem Amt gescheucht werden.

Ab heute Vergangenheit

Seehofer wird zwar noch eine Weile im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten verbleiben. Aber faktisch ist er ab heute Vergangenheit. Nun klammert sich der 68-Jährige an die Vorstellung, nur er könne die möglicherweise kommenden und schwierigen Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene im Sinne der CSU führen. Er kann halt nicht loslassen ...

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