Politik Pro und Contra: Brauchen wir die Zeitumstellung?

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Sonntagnacht ist es wieder so weit: Die Sommerzeit beginnt.

Streitfall: Am Wochenende werden die Uhren wieder um eine Stunde auf Sommerzeit vorgestellt. Doch so alt wie die Zeitumstellung ist auch die Diskussion über deren Sinn. Geht es nach dem Willen von EU-Kommission und Europaparlament, soll ab 2021 nicht mehr an der Uhr gedreht werden. RHEINPFALZ-Redakteure streiten sich noch darüber.

Pro: Erhard Stern meint laue Sommerabende bei Tageslicht könne man mit dauerhafter Winterzeit vergessen

Sie sind gegen die Zeitumstellung? Aber wissen Sie auch, wann wie an der Uhr gedreht wird? Dass sie am letzten Sonntag im März eine Stunde vor- und am letzten Sonntag im Oktober eine Stunde zurückgestellt wird? Sicher sind Sie sich nicht? Sehen Sie, genau das ist das Problem! Denn einfach nur dagegen zu sein, reicht nicht! Schon gar nicht, wenn man nicht weiß, wie es nach einer Abschaffung weitergehen soll. Es ist ja richtig: Ihren eigentlichen Zweck hat die Zeitumstellung nie erfüllt. Aber dass dadurch nicht nennenswert Energie eingespart wird, ist nicht erst seit gestern bekannt. Dies dennoch ständig als Gegenargument anzuführen, ist unlauter. Haben Sie sich stattdessen schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie es wäre, wenn es den Uhrendreh im Frühjahr und im Herbst nicht mehr gäbe? Laue Sommerabende bei Tageslicht? Können Sie mit dauerhafter Winterzeit vergessen! Stattdessen müssten Sie Ihr Schlafzimmer verbarrikadieren, weil es schon Stunden vorm Aufstehen hell wäre. Und wie sähe es aus, wenn künftig die ewige Sommerzeit gelten würde? Dann wäre es im Winter noch weit nach 9 Uhr stockdunkel. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz und in der Schule darunter leiden würde. Keine Frage: Die Zeitumstellung ist eine kurzzeitige Belastung für den Körper – im Frühjahr stärker als im Herbst. Aber sie ist auch nötig, um die tatsächliche Zeit der inneren Uhr anzugleichen. Gesundheitliche Beschwerden deswegen sind in erster Linie eingebildet. Jeder Schichtarbeiter und jede Fernreisende ist größeren Belastungen ausgesetzt. Überhaupt ist das Thema in erster Linie ein deutsches Problem, das die EU mit einer – unverbindlichen – Online-Befragung ohne Not zu ihrem gemacht hat. Mit der Konsequenz, dass es nun statt dreier Zeitzonen einen Flickenteppich in ganz Europa geben könnte. Denn schließlich darf jeder Mitgliedstaat selbst darüber entscheiden, welche Zeit er gerne hätte. Die endlose Debatte über die Zeitumstellung ist ungefähr so sinnvoll wie die über den Brexit. Es wird höchste Zeit, beide zu beenden und alles beim Alten zu belassen.

Contra: Ilja Tüchter schätzt den Nutzen unklar, den Schaden aber vorhanden ein

Hunderttausende Jahre sind die Menschen ohne Uhr ausgekommen. Die Sonne und der Mond beziehungsweise Licht und Dunkelheit haben es auch getan, um unser Leben zu organisieren. Dass aber die präzise Zeitmessung und vor allem die Einigkeit der Menschen über die genaue Uhrzeit Nutzen bringt, ist unbestreitbar. Zugfahrpläne, Verabredungen, der sonntägliche Gottesdienst – funktioniert alles nur, wenn man dieselbe Uhrzeit am Armband, auf dem Handy-Bildschirm oder am Kirchturm hat. Insofern will jedes Herumspielen an der Uhrzeit wohl bedacht sein. Dass der EU ein Flickenteppich der Uhrzeiten droht, ist bedenklich. Aber wie groß ist der Nutzen der seit 1980 hierzulande praktizierten Zeitumstellung? Da unsere Erde leider nicht gleichmäßig von der Sonne geküsst wird, sondern es je nach Breitengrad früher oder später hell oder dunkel wird, richtet sich die Antwort nach dem Lebensmittelpunkt. In Deutschland, so viel steht fest, ist der Nutzen der Sommerzeit sehr, sehr überschaubar. Zur Erinnerung: Sie wurde eingeführt, weil sie angeblich Energie sparen helfe. Und sie ist bis heute umstritten, weil viele Menschen mit der Umstellung ihre Mühe haben. Jeder, der Krippen- und Schulkinder hat oder hatte, weiß, wie die Umstellung nerven kann. Unnötig müde sitzt die Familie zur Unzeit am Frühstückstisch. Die Argumente zum Für und Wider sind freilich mannigfaltig. Hier das Fazit in Drucksache 18/8000 des Deutschen Bundestags vom März 2016: „Insgesamt kann festgehalten werden, dass die vorhandene Studien- und Erfahrungslage zu möglichen Auswirkungen der Sommerzeit auf den Energieverbrauch, die Wirtschaft oder die Gesundheit limitiert, unvollständig und teils widersprüchlich ist.“ Gerade was das Hauptargument, die Wirtschaft brauche die Zeitumstellung, angeht, sind aber Zweifel angemeldet. Für die Landwirtschaft ist es nachgerade Unfug. Denn Kühe geben ihre Milch ja nicht nach dem Willen des Menschen. Unterm Strich lässt sich sagen: Nutzen unklar, Schaden nicht furchtbar, aber eben schon vorhanden. Am Ende ist es eine Glaubensfrage: Wie weit muss der Mensch sich über die Natur stellen? 

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