Deutsch-türkischen Beziehungen Scholz bei Erdogan: Neustart am Bosporus

Blick über Istanbul mit der Hagia Sophia im Vordergrund: Hier empfängt der türkische Präsident Erdogan am Samstag Bundeskanzler
Blick über Istanbul mit der Hagia Sophia im Vordergrund: Hier empfängt der türkische Präsident Erdogan am Samstag Bundeskanzler Scholz zu einem Meinungsaustausch.

Bundeskanzler und Präsident wollen in Istanbul die deutsch-türkischen Beziehungen wiederbeleben. Bei einigen Themen werden sie kaum einen gemeinsamen Nenner finden.

Deutschland und die Türkei wollen bei einem Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Samstag in Istanbul ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufschlagen. Beide Seiten haben Interesse an einem Neuanfang und haben schon vor dem Besuch damit begonnen, politische Baustellen abzuräumen. So erklärte sich Berlin zu mehr Waffenlieferungen an den Nato-Partner bereit. Am Bosporus stehen Scholz und Erdogan aber vor drei wichtigen Hürden für die Wiederannäherung.

So dürften Visumserleichterungen für türkische Staatsbürger Erdogans Hauptforderung sein. Unterschiedliche Interessen beider Regierungen schließen hier aber schnelle Lösungen aus. Die Türkei dringt seit Jahren darauf, ihren Bürgern die Reisen nach Deutschland und in andere EU-Länder zu erleichtern; viele Türken haben Verwandte in der Bundesrepublik, Unternehmer wollen zu Geschäftsterminen nach Deutschland fliegen. Die Bearbeitung türkischer Anträge bei den deutschen Behörden dauere zu lange, viele Anträge würden abgelehnt, klagt die Türkei.

Druck auf Andersdenkende

Nicht nur Erdogans Regierung findet, dass sich Deutschland hier bewegen sollte. „Geschäftsleute und Künstler haben erhebliche Schwierigkeiten und müssen oft Zumutungen über sich ergehen lassen“, sagt der türkische Oppositionspolitiker Mustafa Yeneroglu. „Verheiratete müssen teilweise mehr als ein Jahr auf einen Termin bei der Visastelle warten“, sagte er der RHEINPFALZ.

Die deutsche Seite verweist auf Nachwirkungen der Pandemie, schlecht begründete Anträge und die schiere Anzahl der Reisewünsche: Allein im vergangenen Jahr genehmigten deutsche Vertretungen in der Türkei fast 200.000 Reisen in den Schengen-Raum. Nirgendwo sonst auf der Welt erteilen deutsche Stellen so viele Visa. Weil der Druck auf Andersdenkende durch Erdogans Regierung und die Wirtschaftskrise in der Türkei die Anzahl der Anträge weiter hochtreiben, befürchtet die Bundesregierung zudem, dass Türken ihre Besuchsvisa nutzen, um in Deutschland Asyl zu beantragen. Erdogan ist zwar bereit, abgelehnte türkische Asylbewerber zurückzunehmen, doch er dürfte als Preis dafür bessere Reisebedingungen verlangen. Feste Zusagen werden Scholz aber schwerfallen.

In der Flüchtlingspolitik gibt es ebenfalls Differenzen. Deutschland und der Rest der EU sehen mit Sorge, dass die Anzahl der Flüchtlinge, die über die Türkei nach Europa kommen, trotz des Flüchtlingsabkommens von 2016 wieder ansteigt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte von Januar bis Anfang Oktober rund 37.000 neue Bootsflüchtlinge in Griechenland, das sind fast so viele wie im gesamten vergangenen Jahr und fast dreimal so viele wie 2022.

Kritik an Haltung zu Israel

Zudem sind immer mehr Türken dagegen, dass ihr Land trotz Wirtschaftskrise weiter den Torwächter für Europa spielen soll, wie Yeneroglu beobachtet: „Auch hier fällt es der türkischen Regierung schwer, der Bevölkerung zu erklären, warum die Türkei auch im Interesse Europas so viele Menschen aufgenommen hat und die Flüchtlinge am Weiterziehen Richtung EU hindert.“

Yeneroglu, der in Deutschland studiert hat, ist sich darüber im klaren, welch heißes Eisen die Migrationspolitik für Scholz ist. Doch das ist sie eben auch in der Türkei, die mehr als drei Millionen Syrer aufgenommen hat. „Bei allem Respekt gegenüber den Herausforderungen Deutschlands und Europas bei der Aufnahme und Versorgung von geflüchteten Menschen, im Vergleich zur Situation in der Türkei sind die Zustände in Europa noch sehr gut“, sagt Yeneroglu.

Auch beim Nahost-Konflikt werden sich Scholz und Erdogan am Samstag wohl nicht einig werden. Deutschland unterstützt Israel, während Erdogan den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler vergleicht und ihm Völkermord im Gaza-Streifen vorwirft.

Auf Verständnis für die deutsche Haltung kann Scholz nicht hoffen, auch nicht bei der Opposition. „Die äußerst einseitige Positionierung Deutschlands zugunsten Israels steht massiv in der Kritik“, sagt Yeneroglu.

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