Leitartikel Scholz sollte führen

Bundeskanzler Olaf Scholz ist im Haushaltsstreit gefordert.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist im Haushaltsstreit gefordert.

Das Land kann sich keine Regierung leisten, die sich im Streit über den Haushalt selbst blockiert. Bundeskanzler Olaf Scholz sollte den Befreiungsschlag wagen – indem er der eigenen Partei etwas zumutet.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat die Welt als Konstrukt aus selbstbezogenen, nach eigenen Regeln funktionierenden Systemen beschrieben. Wenn Luhmann nicht schon lange tot wäre, könnte man denken, er hätte seine Theorie nach Beobachtung der Ampel entworfen. Denn die Regierung aus SPD, Grünen und FDP funktioniert, wie sich beim beginnenden Haushaltsstreit erneut zeigt, nach ihren eigenen Mechanismen. Sie beschäftigt sich zu viel mit sich selbst und zu wenig mit der Frage, was gut für das Land wäre. Die Aufgabe, einen Haushalt für das Jahr 2025 aufzustellen, ist objektiv sehr schwierig. Deutschland muss – Stichwort Zeitenwende – deutlich mehr für die Bundeswehr ausgeben als bisher. Zugleich sind nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zum Umgang mit Sondervermögen und der Schuldenbremse die finanziellen Spielräume stark eingeschränkt.

Das Problem mit der Ampel ist, dass sie in einer außergewöhnlichen Situation in ihre gewöhnlichen Verhaltensweisen verfällt. Es gibt klare Sparvorgaben – doch mehrere Ressorts stemmen sich schon mal kräftig dagegen. Viele in der SPD klammern sich an die eher aussichtslose Hoffnung, FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner doch noch zum Aussetzen der Schuldenbremse bewegen zu können. Lindner wiederum verstärkt das Chaos in der Debatte, indem er die Komplettabschaffung des Solidaritätszuschlags fordert, von der nur die Reichsten profitieren.

Zugeständnisse sind nötig

Ein echter Befreiungsschlag wäre es, wenn jede der drei Parteien ein schmerzhaftes Zugeständnis machen würde. Die SPD sollte aufhören, Menschen, die noch fit sind, den vorzeitigen Weg in die abschlagsfreie Rente freizuhalten. Denn das ist teuer und in Zeiten des Fachkräftemangels unvernünftig. Ein solcher Schritt wäre sehr hart für die Sozialdemokraten, die mit dem Thema Rente im Wahlkampf punkten wollen. Führung bestellt haben die anderen Koalitionspartner bei Kanzler Olaf Scholz fast nie. Jetzt könnte er echte Führung zeigen – und damit auch Bewegung bei den anderen in der Ampel zu ermöglichen. Führen durch Vorbild, auch beim Sparen, das entspricht der Jobbeschreibung eines Kanzlers.

Die Grünen sollten auf die vermurkste Reform zur Kindergrundsicherung verzichten. Ein durchdachter Anlauf in der nächsten Legislaturperiode wäre besser.

Auch Lindner muss sich bewegen

Und was ist mit der FDP? Auch Lindner muss sich bewegen, und zwar doppelt. Die Wirtschaft braucht – jetzt in der Krise, aber auch, um die Transformation hin zur Klimaneutralität zu schaffen – gewaltige Investitionen. Eine Einigung über zusätzliche steuerliche Investitionsanreize in der Ampel ist möglich. Dabei wäre es schön, wenn Lindner selbst mal ernst zu nehmende Finanzierungsvorschläge einbrächte – jenseits des Märchens, alle Haushaltsprobleme ließen sich durch verschärfte Regeln beim Bürgergeld lösen.

Am Ende führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die Schuldenbremse so reformiert werden muss, dass sie mehr Investitionen ermöglicht. Sonst droht Deutschland in der Weltwirtschaft dauerhaft zurückzufallen. Lindner sollte seinen ideologisch motivierten Widerstand fallenlassen. Das würde auch den Druck auf Unions-Fraktionschef Friedrich Merz erhöhen. Ohne ihn kann das Grundgesetz nicht geändert werden. Merz sperrt sich aktuell schon deshalb gegen eine Reform, weil er der Ampel nicht bei der Lösung ihrer Haushaltsprobleme helfen will. Deutschland kann sich aber weder eine paralysierte Regierung noch eine rein selbstbezogene Opposition leisten. Dafür sind die Zeiten zu ernst.

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