Politik Schwarze Null und rote Linien

Was ist zu tun? Die Ökonomen (von links nach rechts) Dullien,Bofinger, Felbermayr, Hüther und Südekum.
Was ist zu tun? Die Ökonomen (von links nach rechts) Dullien,Bofinger, Felbermayr, Hüther und Südekum.

Nun ist es passiert: Sieben führende deutsche Wirtschaftswissenschaftler rütteln an der Null-Schulden-Politik der Bundesregierung – wegen der Corona-Epidemie. Für CDU und CSU ist die „schwarze Null“ dagegen wie eine Gesetzestafel Moses.

Um die „schwarze Null“ – also den Ausgleich des Bundeshaushalts ohne neue Schulden – ranken sich allerlei Legenden. Zum Beispiel diese: Um den Etat für 2014 auszugleichen, wollte der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eigentlich beherzt auf dem Finanzmarkt zugreifen: Er wollte sich 6,5 Milliarden Euro leihen. Die „schwarze Null“ sollte erst im folgenden Jahr, also 2015, erreichen werden.

Doch dann geschah Unerwartetes: Die Steuerquellen sprudelten üppig, die Ausgaben waren niedriger als geplant. Das war reiner Zufall. Aber die Herolde des Ministerium packten die Chance beim Schopf: Sie verkauften die gute Nachricht fortan als Folge planvoller Politik à la Schäuble. Für die Schwesterparteien CDU und CSU ist die „schwarze Null“ seither wie eine rote Linie, die beispielsweise bei Koalitionsverhandlungen vom möglichen Partner keineswegs überschritten werden darf.

Doch nun rütteln sieben führende deutsche Wirtschaftswissenschaftler einhellig am schwarzen Dogma. Die Corona-Epidemie ist der Auslöser.

Verschiedene Denkschulen ziehen an einem Strang

Bemerkenswert ist: Die Ökonomen gehören unterschiedlichen Denkschulen an. Bei der Formulierung ihrer Ratschläge an die Bundesregierung haben sie aber an einem Strang gezogen. Das Papier geschrieben haben der Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, Ifo-Chef Clemens Fuest, die ehemaligen Wirtschaftsweisen Beatrice Weder di Mauro und Peter Bofinger, der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Jens Südekum, der Chef des Forschungsinstituts IMK, Sebastian Dullien, und der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Aber der Reihe nach.

Die Wirtschaftswissenschaftler haben sich Gedanken gemacht, was sich gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie tun lässt. Da sind sie zunächst ganz nah bei der Bundesregierung. Deren oberstes Ziel ist es seit Wochen, das Ansteckungsrisiko zu minimieren und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Denn überfüllte Arztpraxen, fehlende Medikamente oder sichtbar überforderte Gesundheitsämter würden zur stellenweise bereits zu beobachtenden Überreaktion der Bevölkerung beitragen, Stichwort Hamsterkäufe von Toilettenpapier. „Es darf nicht zu einer Vertrauenskrise kommen“, sagt der Ökonom Peter Bofinger, der an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg lehrt.

Bei ihren Überlegungen haben sich die Wirtschaftswissenschaftler folgenden Leitsatz gegeben: Lieber früh und beherzt handeln, auch mit ganz viel Geld, als zu zögerlich und viel zu spät. Das sei für die Volkswirtschaft finanziell allemal günstiger, als wenn sich der Staat später als Reparaturwerkstatt betätigen müsse, meint beispielsweise Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts in München.

Schuldenbremse keine Heilige Kuh

So gesehen ist für die Ökonomen auch die Schuldenbremse im Grundgesetz keine Heilige Kuh. In der Verfassung heißt es zwar: „Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Ausnahmen seien aber möglich, zum Beispiel „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Darauf berufen sich die Ökonomen, diese Spielräume gelte es zu nutzen.

In der Praxis heißt das: Die „schwarze Null“ im Haushalt könnte wackeln. Die sieben Ökonomen schreiben in dem gemeinsamen Papier: „Wenn erforderlich, muss zur Behebung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise vom Prinzip der ,schwarzen Null’ abgewichen werden, und es sind die Spielräume zu nutzen, die die Schuldenbremse bietet.“

Diese Spielräume könnten dann genutzt werden, um Liquiditätsengpässe bei Unternehmen auszugleichen. Die seien in einigen Branchen zu erwarten, etwa im Tourismusgewerbe oder der Hotel-, Gaststätten-, Flug-, Messe- und Kulturbranche.

Und was ist mit den Arbeitnehmern?

Um Insolvenzen abzuwehren, schlagen die Ökonomen beispielsweise eine generelle zinslose Stundung fälliger Steuervoraus- und Steuernachzahlungen vor. Die Stundung sollte gelten, „bis die Coronakrise definitiv überwunden ist“, heißt es.

Das gelte aber nicht für Arbeitnehmer. Eine Stundung der Lohnsteuer sei nicht erforderlich, weil Löhne ja weiterhin gezahlt würden.

Weitere Liquiditätshilfe könnte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) leisten. Aus deren Mittelstandsprogramm könnten jetzt schon langfristige und zinsgünstige Kredite abgerufen werden für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 Millionen Euro. Die Wirtschaftswissenschaftler warnen allerdings: Die zur Verfügung stehenden Mittel würden im Fall der Fälle vermutlich kaum ausreichen und müssten aufgestockt werden.

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