Politik Sprachkurs-Apps für Flüchtlinge: Gut gemeint, oft nicht gut gemacht

Brücke zur Heimat und Lotse in der Fremde: das Smartphone. Im September 2015 loggt sich ein Afghane in Flensburg ins Internet ei
Brücke zur Heimat und Lotse in der Fremde: das Smartphone. Im September 2015 loggt sich ein Afghane in Flensburg ins Internet ein.

Angekommen!? Für die vielen Hunderttausend Flüchtlinge haben deutsche Experten eine Vielzahl von Apps entwickelt. Schließlich besitzen die allermeisten Zufluchtsuchenden ein Smartphone. Die Idee: Mit den Mini-Programmen aus deutschen Landen könnten Syrer, Iraker und Eritreer die Sprache lernen. Doch arabischsprechende Flüchtlinge lernen anders.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, im Herbst 2015 bis Frühjahr 2016, wurde klar: Es fehlt an Sprachkursen, um den Hunderttausenden Neuankömmlingen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea oder Somalia Deutsch beibringen zu können. Die weiterführenden Integrationskurse, in denen den Geflohenen nicht nur die Sprache, sondern auch deutsche Werte und der Alltag nähergebracht werden, waren ebenfalls ruckzuck ausgebucht. Sehr viele Interessenten blieben monatelang außen vor. Doch besitzen nicht so gut wie alle Flüchtlinge ein Smartphone? Die Chance, viele Menschen so erreichen zu können, wollte man sich nicht entgehen lassen. Bundes- und Landesbehörden, Städte und Landkreise begannen, an Apps (Programme für Handys) oder an Internetseiten zu basteln. Eifrige Studenten und Dozenten von Hochschulen waren genauso mit von der Partie wie Fernsehsender und Verlage. All diese Bemühungen sind lobenswert. Die meisten dieser Programme sind zudem kostenlos. Doch es ist, wie es eben ist im Internet: Die vielfältigen Angebote stehen irgendwo, zu finden sind sie oft nur mit Suchmaschinen – und mit etwas Glück. Selbst im relativ übersichtlichen Google Playstore lässt sich manche App nur aufrufen, wenn auf dem Gerät die deutsche Tastatur installiert ist. Mit der englischen oder gar arabischen geht das nicht. Auch muss ein Flüchtling erst einmal auf die Idee kommen, dass sich hinter einer sprachspielerischen englischen Adresse wie „SpeaQwith.me for refugees“ ein deutsches Lernprogramm verbirgt. Manche Apps funktionieren überdies nur mit einer aktiven Internetverbindung – da ist das schmale Prepaid-Guthaben schnell aufgebraucht. Niemand hat einen Überblick, was es alles gibt. Wer indes mit Flüchtlingen spricht, bekommt den Eindruck: Erstens werden diese von offiziellen Stellen kaum auf derartige Apps hingewiesen; zweitens wurde da einiges im stillen Kämmerlein entwickelt, ohne diejenigen miteinzubinden, um die es eigentlich geht. Zu dieser Einschätzung gelangte auch die Stiftung Warentest, die vor einem Jahr zwölf Apps zum Deutschlernen unter die Lupe nahm. Nur zwei der Programme, die sich vorzugsweise an arabischsprachige Erwachsene und Kinder richten, bekamen die Bewertung „ohne Einschränkungen empfehlenswert“ zugesprochen (jedes Mal war das Goethe-Institut Mitentwickler). Auch Abdul*, der im Herbst 2015 in die Pfalz kam, sagt mit Blick auf die meisten Apps, die Informationen zu Deutschland liefern sollen: „Sehr oberflächlich. Überall steht meist nur das Gleiche.“ Wichtig wären nicht nur ihm lokale Informationen, etwa an wen man sich bei bestimmten Problemen wenden kann. Zumal im föderal strukturierten Deutschland die Dinge in den Bundesländern, Städten und Kreisen im Detail oft unterschiedlich gehandhabt werden. Aber solch lokale (und auch noch gut gemachte) Apps sind nur sehr selten zu finden. Dennoch: Viele Flüchtlinge nutzen sehr wohl ihr Smartphone, um sich Informationen über den Alltag zu verschaffen. Oder um ihr Deutsch zu verbessern. Sie bewegen sich dabei allerdings „in ihren Kreisen“. Insbesondere arabischsprachige Menschen können mittlerweile auf etablierte Angebote zurückgreifen. So klickt auch Abdul regelmäßig auf Youtube die Videoclips von Deiaa Abdullah an. Dieser Syrer, der vor drei Jahren aus seiner Heimatstadt Aleppo nach Deutschland floh, ist auf der Video-Plattform zu einem Star avanciert. „Du bist der beste Deutschlehrer! Danke!“, hat einer von Abdullahs Schülern in der Kommentarspalte hinterlassen. Mittlerweile erklärt der einstige Medizinstudent Abdullah in über 150 Videoclips durchaus humorvoll die Untiefen der deutschen Grammatik. Seine Fangemeinde ist auf 560.000 Menschen angewachsen. Für arabischsprachige Flüchtlinge, die „nach oben“ wollen, ist auch Facebook wichtig. Im sozialen Netzwerk gibt es geschlossene Gruppen, in denen Iraker oder Syrer, die teilweise schon jahrelang in der Bundesrepublik leben, Tipps für die Neuankömmlinge bereithalten. Eine Gruppe namens „Life and Study in Germany“ („Leben und Studieren in Deutschland“) beispielsweise hat 105.000 Mitglieder. „Der Vorteil ist“, sagt Abdul, „dass hier die Informationen aktuell sind. Dass man nachfragen kann – und dass Fehler von anderen Mitgliedern sofort korrigiert werden.“ Flüchtlinge sind also in der Lage, sich selbst zu organisieren. Vielfach bräuchten sie dazu keine (neuen) Apps. Sondern einen WLAN-Anschluss, der ihnen einen günstigen Internetzugang ermöglichen würde. * Die wirklichen Namen sind der Redaktion bekannt. Die Serie Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wie leben Zuwanderer und Flüchtlinge hier; wie gelingt es, sie zu integrieren? Dieser Frage geht „Angekommen!?“ nach.

Star auf Youtube: Sprachlehrer Abdullah.
Star auf Youtube: Sprachlehrer Abdullah.
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