Politik Toter Bulle als Politikum

Als im September nahe des Städtchens Lebus an der Oder ein 600 Kilo schwerer Wisentbulle über einen Deich spazierte, war die Aufregung groß. Als sich das Tier dann einer Siedlung näherte, traf der zuständige Ordnungsamtsleiter eine folgenschwere Entscheidung: Er ließ den Grenzgänger aus Polen von Jägern abschießen. Er habe in diesem Fall keinen Ermessensspielraum gehabt, so der Verantwortliche, Leib und Leben gingen vor. Es folgte eine Welle der Empörung vor allem aus dem Nachbarland. Abgeordnete der Regierungspartei PiS kritisierten das Vorgehen der brandenburgischen Behörde scharf. Eine Facebook-Seite zum „Gedenken an den in Deutschland bestialisch ermordeten Wisent“ wurde eingerichtet. In Polen werden die imposanten, europaweit streng geschützten Tiere oft geradezu verehrt, gelten im Osten des Landes als Könige der Wälder. Das angespannte deutsch-polnische Verhältnis ist durch den eskalierenden Nachbarschaftskonflikt noch weiter belastet. Östlich der Oder bleibt es bis heute unverständlich, warum niemand auf deutscher Seite den Kontakt suchte. Denn der mächtige, aber stets friedliche Bulle war weithin als „Nasz Zubr“ („Unser Wisent“) bekannt, wurde tausendfach fotografiert. Jahrelang zog er friedlich durch die Gegend zwischen Gorzòw (Landsberg/Warthe) und Kostrzyn (Küstrin). Der tote Wisent ist längst ein Politikum. Im Brandenburger Landtag bedauerte Umweltminister Jörg Vogelsänger, dass vor der Abschuss-Entscheidung sein Ministerium als oberste Naturschutz- und Jagdbehörde nicht gefragt wurde. Wisente seien überdies nicht dafür bekannt, für den Menschen gefährlich zu sein, hieß es aus dem Ministerium. Ein Entschuldigungsschreiben des Landkreises Märkisch-Oderland an die polnische Seite sollte die Wogen wieder glätten. Außerdem gibt es noch ein juristisches Nachspiel: Das Landeskriminalamt ermittelt, weil der Abschuss offenbar rechtswidrig war. Die Umweltschutzorganisation WWF hat Strafanzeige gegen den Lebuser Amtsleiter gestellt. Die letzte in Europa vorkommende Wildrindart war Anfang des 20. Jahrhunderts fast ausgestorben. Inzwischen haben sich die Bestände in Osteuropa erholt. Axel Vogel, Fraktionschef der Grünen im Brandenburger Landtag, geht davon aus, dass man in Brandenburg und Sachsen – ähnlich wie bei Wölfen und Elchen – auch verstärkt mit jenen zottigen Einwanderern rechnen müsse.

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