Politik Träumer oder Besessener?

Er sitzt auf demselben Sessel, von dem aus Regierungssprecher Steffen Seibert schon häufiger diplomatisch makellos die Zweifel der Bundesregierung an der Sinnhaftigkeit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung formuliert hat. Carles Puigdemont, vor vier Monaten in Schleswig-Holstein festgenommener Ex-Regionalpräsident aus dem östlichen Spanien, ist ein ungewöhnlicher Gast in der Berliner Bundespressekonferenz. Ungewöhnlich auch das Publikum: Dutzende spanisch- und katalanischsprechender Journalisten scharen sich um den Mann, in dessen Amtszeit das höchst fragwürdige katalanische Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 und die bizarre Ausrufung der „katalanischen Republik“ fielen. Am Ende führten beide Ereignisse zur Zwangsverwaltung Kataloniens und zur Flucht des heute 55-Jährigen nach Belgien wegen des Vorwurfs der „Rebellion“. Weil es einen europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont gab, kam es zur Festnahme in Neumünster auf der Rückreise von Dänemark. Die deutsche Justiz lehnte aber seine Auslieferung ab. „Das Strafrecht taugt nicht, um politische Fragen zu lösen“, meinte gestern einer von Puigdemonts deutschen Anwälten. Schließlich lenkte auch Spanien ein. Für Puigdemont gilt zwar nach wie vor, dass ihm – sobald er wieder spanischen Boden beträte – Festnahme und Gerichtsverfahren drohen würden. Außerhalb Spaniens aber kann er sich frei bewegen. Deshalb will er mit seiner Familie am Samstag wieder nach Belgien umziehen, obwohl er in Deutschland „viel Respekt und Wohlwollen“ erfahren habe. Doch wie sieht die Zukunft des freundlich auftretenden Rebellen aus, der am Revers die gelbe Solidaritätsschleife der Unabhängigkeitsanhänger trägt? In Madrid fehlt das Feindbild, seit die Regierung von Mariano Rajoy stürzte und der neue spanische Ministerpräsident, der Sozialdemokrat Pedro Sánchez, sich gegenüber Katalonien konziliant zeigt. Offenbar hat sich Puigdemont für die Konfrontation mit dem spanischen Staat aus dem Exil entschieden. Was genau sein Lösungsansatz ist, wo doch nun in Madrid versöhnliche Töne angeschlagen werden, wird in der 70-minütigen Pressekonferenz indes nicht klar. Dass kein einziger Staat der EU die katalanischen Separatisten unterstützt, muss Puigdemont einräumen. Es scheint ihn aber nicht zu stören.

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