Fragen und Antworten Umstrittene Kürzungen für Geflüchtete
Bei Ausreisepflichtigen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, sollen Sozialleistungen komplett gestrichen werden. Das plant die Bundesregierung. Flüchtlingsorganisationen halten dieses Vorgehen für unzulässig, auch die Grünen haben Bedenken und verweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Wer soll keine Leistungen mehr bekommen?
Dabei geht es um Flüchtlinge, die von einem anderen EU-Land nach Deutschland weitergereist sind. Sie müssen ihren Asylantrag nach den sogenannten Dublin-Regeln in dem EU-Staat stellen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Stimmt das betreffende Land der Rücküberstellung zu, sollen die Sozialleistungen nun vollständig gestrichen werden.
Was hat das mit der Gewalttat von Solingen zu tun?
Der mutmaßliche Täter, ein 26-jähriger Syrer, hätte eigentlich schon im vergangenen Jahr nach Bulgarien überstellt werden sollen, über das er in die EU kam. Er wurde aber von den Behörden nicht in seiner Unterkunft angetroffen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zufolge soll mit der Streichung von Sozialleistungen fortan Druck auf ausreisepflichtige Flüchtlinge ausgeübt werden, sich selbst mit den Behörden in Verbindung zu setzen oder freiwillig auszureisen.
Bekommen die Betroffenen tatsächlich gar nichts mehr?
Laut Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sollen nur noch die Mittel zur Ausreise zur Verfügung gestellt werden. Denn die Versorgung des Betroffenen sei ja in dem anderen EU-Land sichergestellt. Sie stelle aber auch klar, dass bis zur Ausreise für Unterkunft und Verpflegung gesorgt sei: „In Deutschland wird niemand verhungern und auch nicht auf der Straße schlafen.“ Im Beschlusspapier der Regierung heißt es dazu: „Dabei gewährleisten wir einen menschenwürdigen Umgang mit allen Betroffenen.“
Was sagen die Kritiker dazu?
„Sozialleistungen dürfen nicht aus vermeintlichen Abschreckungseffekten gestrichen oder willkürlich gekürzt werden“, erklärte die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Dies habe das Bundesverfassungsgericht klar festgestellt. Auch von den Grünen kamen Bedenken: Es gebe „sehr klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das Existenzminimum für alle Menschen, auch für Geflüchtete“, sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann.
Welche Entscheidungen gab es durch Karlsruhe in diesem Bereich?
2012 hatte das Bundesverfassungsgericht zur Höhe von Asylbewerberleistungen entschieden, dass die damaligen Geldzuweisungen „evident unzureichend“ waren, weil sie „seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert“ wurden. Sie mussten daraufhin annähernd auf das Niveau der damaligen Hartz-IV-Leistungen angehoben werden.
In einer weiteren Entscheidung von 2022 befand Karlsruhe, dass die pauschale Kürzung der Leistungen für alleinstehende Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften unzulässig sei. Das Gericht verwies dabei auf das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
Was bedeutet das für die geplante Änderung?
Das ist schwer zu sagen. Möglich ist, dass der Fall auch vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden muss, wenn es Klagen gegen die Streichung gibt. Dann ist die Frage, ob die Karlsruher Richter der Argumentation der Regierung folgen, dass die Leistungen ja in einem anderen Land gewährt werden könnten.
Der Bonner Arbeits- und Sozialrechtler Gregor Thüsing hält dies für möglich. Entscheidend in jedem Fall sei, betont er: „Die menschenwürdige Existenz muss gesichert sein“. „Wenn aber der (erste, Anm. d. Red.) Aufnahmestaat dazu bereit ist und in der Lage, dies zu tun, zudem eine Ausreisepflicht besteht, dann besteht insofern für Deutschland keine Pflicht, zusätzlich oder alternativ diese Sicherung zu gewährleisten.“