Angriff auf Kinderklinik Kiew Unicef-Chef: „Krebskranke liegen angsterfüllt in den Armen ihrer Eltern“

Munir Mammadzade, Unicef-Chef in der Ukraine, sieht rund um die Kinderklinik in Kiew viel Leid.
Munir Mammadzade, Unicef-Chef in der Ukraine, sieht rund um die Kinderklinik in Kiew viel Leid.

Der Leiter von Unicef in der Ukraine, Munir Mammadzade, erzählt von todkranken Kindern am Straßenrand und viel Verunsicherung rund um das zerbombte Kinderkrankenhaus in Kiew.

Munir Mammadzade steht vor einem meterhohen Berg Schutt. Seine Stimme ist fest, sein Blick leer, seine Miene ernst. Hinter ihm laufen Rettungs- und Aufräumarbeiten. Der Leiter des UN-Kinderhilfswerks Unicef in der Ukraine spricht eine Minute lang in eine Handykamera. Neben ihm steht Jarno Habicht, Vertreter der Welternährungsorganisation WHO in der Ukraine. Das Video teilt Unicef später auf den sozialen Plattformen. Mammadzade erzählt darin von einer Tragödie, für die viele in diesem Moment keine Worte finden: von krebskranken Kindern, die im Schutzbunker versorgt werden, vom Blut frisch Operierter, das Flure bedeckt.

Es ist Montag in Kiew. Nicht irgendeiner. Es ist jener, an dem die russische Armee die Kinderklinik Ochmatdyt bombardiert. Dutzende kommen ums Leben, viele mehr erleiden Verletzungen. Hinter Mammadzade liegen die Reste eines Krankenhauses, das am Montag noch Ort der Hoffnung und Heilung für 627 Kinder war. Das Unicef-Team versorgt die Menschen mit Wasser, Hygieneartikeln und Lampen. Das Leid können sie nicht lindern, aber da sein. Und der Welt von alledem erzählen. Das macht Munir Mammadzade beständig: mit Videos und Fotos, die Eindruck hinterlassen.

Der Vertreter von Unicef ist seit Montagmittag vor Ort, koordiniert, organisiert, hört zu. „Als ich an der Klinik ankam, war alles voller Staub, die Situation chaotisch“, erzählt er im Interview mit der RHEINPFALZ. Während eines Gesprächs mit dem Chefarzt habe es erneut Luftalarm gegeben. Auf dem Weg in den Schutzraum lief Mammadzade vorbei an chronisch Kranken, an verzweifelten Eltern, an Infusionsständern am Straßenrand. „Diese Bilder werden immer in meinem Kopf bleiben“, sagt er.

Angsterfüllte Krebspatienten in den Armen der Eltern

Im Schutzraum traf er auf einen Siebenjährigen, dessen verzweifeltes Schluchzen Mammadzade auch in der zweiten Wochenhälfte noch im Schlaf verfolgt. Für Angehörige, aber auch für Hilfskräfte hat Unicef die psychosoziale Unterstützung weiter ausgebaut. Die Telefone stehen in dieser Woche selten still. Bei ihrer Arbeit an und im Kinderkrankenhaus geraten auch die erfahrenen Krisenhelfer an ihre Grenzen: „Das Schlimmste für mich war zu sehen, wie viel Blut überall war, wie Kinder mit Tumoren angsterfüllt in den Armen ihrer Eltern oder des Klinikpersonals liegen und Infusionen bekommen“, erzählt Munir Mammadzade.

Der Krieg tobt seit mehr als zwei Jahren. An martialischen Bildern mangelt es wahrlich nicht. „Zu wissen, dass noch nicht einmal Krankenhäuser sichere Orte für Kinder sind, ist unglaublich brutal.“

Sorge vor einem erneuten Bombardement

So groß die Unterstützung und der Zuspruch durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Freiwillige, so groß ist dennoch auch die Verunsicherung in der Bevölkerung. Mammadzade erzählt etwa von den Eltern einer krebskranken Vierjährigen. Das Mädchen wurde in eine andere Klinik gebracht. „Sie wollen sie aber unbedingt wieder ins Ochmatdyt verlegen, weil dort die lebenswichtige Behandlung einfach um ein Vielfaches besser sei“, sagt der Unicef-Chef in der Ukraine. Viele hätten gleichzeitig Angst, dass das Krankenhaus bald erneut Ziel der russischen Bomben werden könnte.

Aktuell sind laut Munir Mammadzade noch 68 Patienten in der angegriffenen Klinik, 94 weitere sind in anderen Einrichtungen untergekommen, 465 Kinder vorläufig zu Hause. Wie es mit ihrer Behandlung weitergeht? Unklar.

Sehr klar ist für Munir Mammadzade hingegen, dass Unicef sich weiterhin mit allem Verfügbaren vor Ort einbringt. Mit Wasser. Mit Hygieneartikeln. Mit psychologischer Hilfe. Und eben auch mit Videos, in denen Mammadzade von einer Tragödie erzählt, für die viele noch immer keine Worte finden.

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