Politik Vorwürfe aus der Vergangenheit

Die polnische Regierung hat zuletzt immer wieder von Deutschland Entschädigungen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gefordert. Ein Gutachten des Warschauer Parlaments hält dies auch rechtlich für möglich. Doch bei den neuerlichen Reparationsforderungen geht es gar nicht ums Geld.

Je näher der Termin für die Bundestagswahl rückt, desto heftiger werden die Attacken polnischer Politiker auf die Spitzenkandidaten von CDU und SPD. Doch die Vorwürfe haben nichts mit dem Hier und Heute zu tun. Vielmehr stellt die nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) erneut die Nazi-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg in Rechnung. Seit Monaten erinnern PiS-Politiker bei jeder Gelegenheit an die „unbeglichene Schuld der Deutschen“. Auch die Premierministerin und weitere Minister schüren mit immer neuen Brandreden die Medienkampagne, die darauf abzielt, deutsche Politiker von weiterer Kritik an Polens Demokratieabbau abzuhalten sowie den guten Ruf Deutschlands als vertrauenswürdiger Partner in der EU zu zerstören. Offiziell nämlich soll die neue Reparationsforderung erst in „rund einem Jahr“ gestellt werden, wie Außenminister Witold Waszczykowski ankündigte. Zeit genug für eine lange antideutsche Kampagne. Die Forderung nach weiteren Kriegsreparationen ist nicht neu. Zuletzt kochte die Frage 2004 hoch. Damals trat Polen der Europäischen Union bei. Für Erika Steinbach, die damalige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, und Rudi Pawelka von der Preußischen Treuhand GmbH schien dies der geeignete Zeitpunkt, um lautstark an Leid und Verluste der deutschen Vertriebenen zu erinnern. Die Preußische Treuhand drohte gar mit Prozessen auf Rückgabe des ehemaligen deutschen Eigentums im heutigen West- und Nordwestpolen. Das weckte in Polen ungeheure Ängste. Um die befürchtete Prozesswelle abzuwenden, forderten polnische Parlamentarier ihre Regierung im September 2004 einstimmig auf, Reparationsforderungen an Deutschland zu stellen. Doch Polens damalige Regierung unter Premier Marek Belka vom Bündnis der demokratischen Linken wiegelte vorsichtig ab. Sie bemühte sich, die heikle Frage im Dialog mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu lösen. Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz gab eine umfassende Expertise in Auftrag, die noch im selben Jahr zweibändig erschien. Im Dokumentenband sind alle deutschen Reparationsleistungen aufgelistet, die Polen seit Kriegsende über die UdSSR aus der Sowjetzone erhielt. Nachdem 1953 zunächst die Westalliierten sowie die UdSSR auf weitere Reparationen aus Deutschland verzichtet hatten, schloss sich auch Polen diesem Verzicht mit einer einseitigen Erklärung an. Das gilt als rechtlich bindend, auch wenn dies heute von etlichen polnischen Politikern und Publizisten bestritten wird. Der später tödlich verunglückte Lech Kaczynski gab 2004 als Stadtpräsident Warschaus ebenfalls eine wissenschaftliche Studie in Auftrag. Zudem eröffnete er das Museum des Warschauer Aufstandes 1944. Die Studie zu den „Verlusten Warschaus 1939 bis 1945“ erschien ein Jahr später. Im Vorwort des voluminösen Bildbandes antwortete Kaczynski auf die rhetorische Frage, ob man 60 Jahre nach Kriegsende noch einmal auf „diese Angelegenheiten“ zurückkommen solle, mit einem klaren: „Das ist es wert!“ Doch ging es ihm nicht um Reparationen, sondern um eine „nachhaltige Geschichtspolitik“, die die Erinnerung wachhalten und es ermöglichen solle, „sich Versuchen von Geschichtsfälschungen und Opfer-Täter-Relativierungen“ entgegenzustellen. „Schätzungen zufolge betragen die materiellen Verluste Warschaus und ihrer Einwohner über 54 Milliarden Dollar“, schrieb Kaczynski. Forderungen nach „Reparationen“ oder „Kriegsentschädigung“ stellte er nicht. Vielmehr wollte Lech Kaczynski mit der Studie einen „Anstoß zu weiteren Forschungen“ geben. Kanzler Gerhard Schröder, dem ebenfalls an guten deutsch-polnischen Beziehungen gelegen war, hatte schon vor Erscheinen dieser umfangreichen Studie allen Restitutionsansprüchen deutscher Vertriebener eine klare Absage erteilt. Am 1. August 2004, dem 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes, versicherte er in Polens Hauptstadt: „Wir Deutschen wissen sehr wohl, wer den Krieg angefangen hat und wer seine ersten Opfer waren.“ Wenig später, am 27. September 2004, erklärte auch Premier Marek Belka in Berlin die Frage der gegenseitigen deutsch-polnischen Ansprüche für „endgültig abgeschlossen.“ Wenn nun Polens nationalpopulistische Regierungspolitiker trotz der rechtlich klaren Situation erneut Reparationen aus Deutschland fordern, erwarten sie keineswegs Geldüberweisungen aus Berlin. Vielmehr geht es ihnen darum, die Deutschen in der EU-weiten Diskussion um Polens Rückbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mundtot zu machen. Am diesjährigen Jahrestag des Warschauer Aufstandes machte dies Polens Vize-Verteidigungsminister Bartosz Kownacki unmissverständlich klar. Er sagte: „Die Nazis haben bestialisch Frauen und Kinder ermordet, und dann gingen sie nach Hause, als sei nichts gewesen. Heute wollen uns die Kinder und Enkel dieser Degenerierten darüber aufklären was Demokratie ist. Sie sollten schweigen!“

x