Meinung Wahl in Frankreich: Alle Fragen offen

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Frankreich hat gewählt – und nichts ist geklärt. Das Land steht vor einem Experiment mit unsicherem Ausgang.

Frankreich hat eine politische Berg-und-Tal-Fahrt hinter sich – und vor sich. Seit Präsident Emmanuel Macron als Konsequenz aus seinem schlechten Abschneiden bei der EU-Wahl Neuwahlen ausrief, herrschte das Gefühl von Chaos vor, bei manchen war es auch blanke Angst. Die Umfragen sahen die Rechtsextremen von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) schon an der Regierung und damit eine Partei, die zwar keine offen rassistischen, homophoben oder antisemitischen Reden mehr schwingt, weil sie begriffen hat, dass sie so nie an die Macht gelangen wird, die aber ein nationalistisches, ausländer- und EU-feindliches Programm vertritt, das die Menschen in Franzosen erster und zweiter Klasse einteilt.

Darüber hinaus ist es wirtschaftlich unausgegoren. Jene, die der RN zu schützen vorgibt und die massenhaft für die Partei stimmten, nämlich die Arbeiter und zunehmend auch die Mittelklasse, hätten das Nachsehen. Mit seiner Hauruck-Entscheidung, die er weder vorbereitet noch verständlich gemacht hat, ging Macron das immense Risiko einer RN-Regierung ein.

Überraschender Zusammenschluss

Doch es kam zum überraschenden Zusammenschluss der bis dahin zerstrittenen Parteien des linken Spektrums und dem spektakulären Wahlsieg der Neuen Volksfront. Dieser Allianz gelang es, ein seit sieben Jahren scheinbar alternativloses Schema zu durchbrechen, dem zufolge es nur die Wahl zwischen Le Pen und Macron, zwischen Nationalisten und Progressiven gab.

Zu Unrecht versuchten die Gegner der Neuen Volksfront, darunter auch der Präsident und sein Premier, diese als ebenso extremistisch darzustellen wie den RN auf der rechten Seite. Das verharmloste nicht nur Le Pen und Co. – es verzerrte auch die Realität, vor allem durch die Konzentration der medialen Aufmerksamkeit auf den streitbaren Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon.

Katastrophe abgewendet

So groß die Erleichterung darüber ist, dass die Katastrophe einer rechtsextremen Regierung für Frankreich vorerst abgewendet wurde: Dem Land stehen weiter bewegte Zeiten bevor. Die Nationalversammlung wird von drei großen Lagern dominiert, doch angesichts ihrer Programme werden sich Linksbündnis, Macrons Allianz und die Rechtsextremen wohl kaum auf irgendetwas einigen können; abgesehen vom Wunsch, die Ausgaben in etlichen Bereichen zu erhöhen. Doch angesichts der angespannten Haushaltslage Frankreichs ist der Handlungsspielraum minimal.

Macron setzte bislang auf eine unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik mit Steuersenkungen und Verschärfungen des Arbeitsrechts. Diese Politik kann er weder mit den Linken noch mit den Rechtsextremen fortführen. In welche Richtung will und kann der Präsident künftig gehen? Mindestens ein Jahr lang verbietet ihm die Verfassung eine neuerliche Auflösung der Nationalversammlung. Künftig muss Macron mühsam Kompromisse schmieden und lernen, auf politische Kontrahenten zuzugehen. Das war bislang nicht die Stärke dieses Staatschefs, der stets von oben herab entschied und sich nun mit seiner überhasteten Entscheidung selbst ausbremste. In jeder Krise der vergangenen Jahre hat Macron versprochen, er werde sich nun selbst „neu erfinden“. Nun wird er dazu gezwungen.

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