Leitartikel Warum der Bundeshaushalt Scholz’ letzte Chance ist

Die Drei von der Ampel (v.l.): Finanzminister Christian Lindner (FDP), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Die Drei von der Ampel (v.l.): Finanzminister Christian Lindner (FDP), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müssen sich beim Haushalt einigen.

Auf den Kanzler kommt es an: Er muss nicht nur eine Einigung über den nächsten Bundeshaushalt erzielen, er muss auch dafür sorgen, dass der Etat ein großer Wurf wird.

Des Kanzlers Aktentasche ist mittlerweile ein kleiner Star in den sozialen Medien. Der Inhalt der knautschigen Ledermappe in unbekannt, aber wenn der Kanzler am 9. Juli nach Washington zum Nato-Gipfel reist, soll darin der verabschiedete Haushaltsentwurf der Bundesregierung liegen. So kündigte das ein Regierungssprecher an. Olaf Scholz bleiben also noch drei Wochen.

Keine lange Zeit, um das Überleben einer Regierung zu sichern. Denn genau darum geht es. Gelingt es Scholz nicht, sich mit SPD, Grünen und FDP auf ein gemeinsames Zahlenwerk zu verständigen, fehlt dem rot-grün-gelben Bündnis die Grundlage. Ohne Haushalt keine Macht. Die Fliehkräfte in der Ampel sind groß. Je länger sich der Etatstreit hinzieht, desto mehr werden sich die Fronten verhärten.

Kritische Töne aus der SPD-Fraktion

Der einzige, der zumindest äußerlich nicht von Panik erfüllt ist, heißt Olaf Scholz. Was lässt den Kanzler hoffen? Zunächst einmal der pure Überlebenswille der Koalitionsparteien. Ein Bruch des Bündnisses wäre für alle drei Parteien eine Katastrophe im Falle von Neuwahlen. Doch mit Angst ist keine Politik zu machen. Also muss Scholz den drei schon lange nicht mehr wohlgesinnten Partnern Freiräume bieten, wobei er eine rote Linie bereits selbst schon gezogen hat: Soziale Kahlschläge werde es mit ihm nicht geben. Würde Scholz hier einknicken, verlöre er die Rückendeckung seiner Fraktion, aus der seit der verkorksten Europawahl immer öfter kritische Töne gegen den Regierungschef zu hören sind.

Da Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Schuldenbremse beharrt, könnte Scholz auf ein Modell zurückgreifen, das ihm finanzielle Beinfreiheit verschaffen würde – das Modell eines Sondervermögens gegen den Investitionsstau. Mit diesem Vorschlag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) könnte die Regierung endlich eine Botschaft aussenden, die Gestaltungswille dokumentiert: Wir kümmern uns um die Sanierung von Schulen, den Ausbau von Kitas, die Reparatur maroder Bahnstrecken und die Digitalisierung. Zur Ehrlichkeit gehört: Das sind Milliarden auf Pump. Aber hinfällige Brücken und vermoderte Schulen zu akzeptieren, ist gegenüber der nächsten Generation unwürdig.

Menschen wollen Fairness und gleiche Behandlung

Der Bundeshaushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Daher muss Scholz im Etat das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen beachten und Rücksicht nehmen auf Fairness und gleiche Behandlung. Sei es beim Bürgergeld, das zu wenige Anreize zur Arbeitsaufnahme vorhält, sei es bei der Migration, wo mehr Ordnung und Begrenzung gefordert wird. Wenn Scholz nächstes Jahr wieder als Kanzlerkandidat antreten will, muss er hier Erfolge vorweisen. Peinlich ist zum Beispiel, dass aus der vom Kanzler kernig angekündigten Abschiebeoffensive nichts geworden ist. Scholz muss im Bundeshaushalt seinen Worten Taten folgen lassen und den finanziellen Rahmen etwa für mehr Grenzkontrollen und Rückführungsabkommen ausweiten. Umgekehrt gilt es, der Wirtschaft Luft zu verschaffen. Der Solidaritätszuschlag, der praktisch nur noch von Unternehmen gezahlt wird, ist nicht mehr zu rechtfertigen.

Der Haushalt ist die Vertrauensfrage des Kanzlers. Gewinnt er sie, wird die Amtszeit dieser Regierung zumindest nicht vorzeitig enden.

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