Politik Was ist ein Gefährder?

Das Wort Gefährder kommt von gefährlich – das ist unstrittig. Alles Weitere aber führt auf ein sehr schwieriges Terrain. In der Sprache der Polizei sind Gefährder Menschen, die möglicherweise eine Straftat begehen werden. Weil es dafür keine gerichtsfesten Beweise gibt, sind sie quasi Fast-Verdächtige. Aus gutem Grund hat das deutsche Recht den Begriff erst gar nicht übernommen.

Der nach Tunesien abgeschobene mutmaßliche Ex-Leibwächter von Osama bin Laden, Sami A., ist ein Gefährder. Deshalb sei seine Abschiebung zwingend geboten gewesen, argumentiert die Ausländerbehörde. Wer in einschlägigen Gesetzestexten nachschaut, findet den Begriff Gefährder nicht. Eine Einstufung von Personen als Gefährder „löst allein keine Rechtsfolgen aus“, erklärt die Bundesregierung. Gleichwohl nehmen Gefährder in der Flüchtlingspolitik eine Sonderrolle ein. Versuch einer Begriffsklärung: Polizisten und Verfassungsschützer kennen den Begriff schon lange, er entstand vor der Bedrohung durch islamistischen Terror. Gefährder wurden ursprünglich (und werden es noch) vor allem dem rechten oder linken Extremismus zugeordnet. Es handelt sich um potenzielle Täter im Bereich der politisch motivierten Kriminalität, aber auch im Bereich der Hooligan-Szene. Bekannt ist die „Gefährderansprache“, bei der Polizisten eine von ihnen beobachtete Person informell darauf hinweisen, dass sie sich bei einem bevorstehenden Ereignis wie etwa einer Demonstration oder einem Fußballspiel nicht zu einer Straftat hinreißen lassen sollte.

Gefährder werden in acht Stufen eingeteilt

Der Begriff Gefährder ist also ein Hilfsmittel, mit dem die mögliche Gefahr ausgedrückt wird, die von einer Person ausgeht. Dafür hat beispielsweise das Bundeskriminalamt ein achtstufiges Prognosemodell entwickelt. Dessen Grundlage ist die Definition, dass Gefährder Personen sind, „bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten“. Bei Stufe acht wird eine Straftat ausgeschlossen, bei Stufe eins ist unmittelbar mit einer Straftat zu rechnen. Das Problem: Diese Personen sind in der Phase der Beobachtung nach geltendem Rechtsverständnis unschuldig. Im Gegensatz zu Verdächtigen, wo es um eine schon (möglicherweise) begangene Tat geht, liegt bei Gefährdern die mögliche Tat in der Zukunft. Sinnvoll ist das Gefährdermodell trotzdem, schließlich gibt es einen begründeten Anspruch der Gesellschaft an die Sicherheitsbehörden, von ihnen vor Straftätern geschützt zu werden.

BKA: Rund 700 islamistische Gefährder in Deutschland

Dieser Aspekt rückte vor gut zehn Jahren in den Mittelpunkt der Debatte über Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) regte 2007 in einem Interview an, islamistische Gefährder wie potenzielle Terroristen zu behandeln und zu „internieren“. Schäuble erinnerte daran, dass man Fußball-Hooligans durch den existierenden „Unterbindungsgewahrsam“ – das vorbeugende Einsperren – aus dem Verkehr ziehen könne. Der Vorschlag wurde nicht weiter verfolgt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellte 2017 fest, dass der Gefährderbegriff nicht rechtlich verbindlich, sondern lediglich ein Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden ist. Da die Bundesländer jeweils über eigenes Polizeirecht verfügen, gibt es keine bundeseinheitlich verbindliche Definition des Gefährderbegriffes. Diese könnte es nur nach einer Änderung des Grundgesetzes geben. Das ist bis jetzt nicht erfolgt, weil dafür dem Bund das gesamte Polizeirecht übertragen werden müsste, was dem Föderalismusgedanken der Bundesrepublik widerspricht. Die Anzahl islamistischer Gefährder in Deutschland liegt heute nach Angaben des Bundeskriminalamtes bei 700.

Abschiebungen von Gefährdern möglich

In dem für die Abschiebung von Flüchtlingen relevanten Aufenthaltsgesetz kommt der Begriff Gefährder nirgends vor. In Paragraf 58 a, Absatz 1, wird bestimmt, dass ein Ausländer sofort abgeschoben werden kann, wenn es eine „auf Tatsachen gestützte Prognose“ gibt, dass durch ihn eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik oder eine terroristische Gefahr drohe, die abgewehrt werden müsse. Die Wirksamkeit dieses durchaus schwammig formulierten Paragrafen wurde erst nach dem Terroranschlag auf den Berliner Breitscheidplatz entdeckt. Bis heute maßgeblich ist ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts gegen einen Algerier und einen Nigerianer. Sie wurden mit Verweis auf Paragraf 58a abgeschoben, obwohl ihnen keine konkreten Attentatspläne nachgesagt werden konnten. Sie hielten sich aber im Umfeld des irakischen Hasspredigers Abu Walaa auf, und in ihren Wohnungen wurden IS-Flaggen und Waffen gefunden. Die beiden wurden als Gefährder eingestuft und musten in ihre Heimatländer zurück.

Fall Sami A. umstritten

Bei dem nach Tunesien abgeschobenen Sami A. verhält es sich ähnlich. Ihm wurde vorgeworfen, im Jahr 2000 eine militärische und ideologische Ausbildung in einem Ausbildungslager der Al Qaida in Afghanistan absolviert und zeitweise zur Leibgarde von Osama Bin Laden gehört zu haben. Anschließend soll sich Sami A. in Deutschland als salafistischer Prediger betätigt haben. Der Tunesier hat diese Vorwürfe stets abgestritten. Die Bundesanwaltschaft hatte gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, aber schließlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Er blieb aber ein Gefährder – und wurde abgeschoben. Das Verfahren ist jedoch umstritten. Bei Sami A. hat das zuständige Gericht die Abschiebung rückwirkend für ungültig erklärt, weil ihm – nach Ansicht des Gerichts – im Heimatland Folter drohe. Sollte es dabei bleiben, wird ein Gefährder wieder nach Deutschland zurückgebracht.

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