Politik Wer kritisiert, wird diffamiert

Der erbitterte Streit zwischen der rechtskonservativen polnischen Regierung und ihren Gegnern ist nun auch in Straßburg angekommen. Der polnische Europaparlamentarier Ryszard Czarnecki steht dabei besonders im Fokus.

„Raus!“ steht in deutscher Sprache und in großen Lettern auf der Titelseite der polnischen Zeitschrift „Gazeta Polska“. Hinter den Buchstaben sind drei Politiker aus dem Europäischen Parlament abgebildet: Ratspräsident Donald Tusk und die Europaabgeordnete Róza Thun, beides Polen, sowie der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, ein Belgier. Ob die drei „raus“ sollen oder ob von ihnen der Befehl kommt, ist allerdings nicht klar. Klar ist dagegen, dass die Zeitschrift mit großer Nähe zur rechtskonservativen polnischen Regierung die drei Politiker zur Zielscheibe ihrer Angriffe macht – und durch die Verwendung der deutschen Sprache auch auf die Zeit der Nazi-Diktatur anspielt. Donald Tusk, dem ehemaligen Regierungschef des Landes, unterstellt die polnische Regierung immer wieder, dass er mitschuldig gewesen sei am Absturz einer Regierungsmaschine nahe der russischen Stadt Smolensk. Im Jahr 2010 kamen dabei zahlreiche Regierungsmitglieder ums Leben, darunter der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski. Und der Liberale Verhofstadt hat Polen wiederholt wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit heftig kritisiert. Das Titelbild der Zeitschrift illustriert, mit welcher Schärfe die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zwischen der PiS, der nationalkonservativen und EU-skeptischen Partei von Jaroslaw Kaczynski, und ihren Gegnern geführt wird. Mittlerweile ist der erbitterte Streit auch im Europaparlament angekommen. Ryszard Czarnecki, einer von 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und Politiker der PiS, steht unter Druck: Aus dem Parlament werden zahlreiche Rücktrittsforderungen laut. Grund dafür ist, dass Czarnecki auch im Aufsichtsrat der „Gazeta Polska“ sitzt – eben jener Zeitschrift, die das zu Beginn beschriebene Titelblatt veröffentlicht hat. Zudem hat er seine Abgeordnetenkollegin Thun, die von der christdemokratischen Bürgerplattform kommt, mit dem übelsten Schimpfwort aus der Zeit der Nazi-Diktatur bedacht, das es in der polnischen Sprache noch gibt. Er verglich sie mit einer Person, die Juden gegen Geld an das Nazi-Regime ausliefert. In seinen Augen ist sie eine Verräterin, weil sie sich in einem Fernsehbeitrag der deutschen Journalistin Annette Dittert für den deutsch-französischen Fernsehsender Arte kritisch mit der polnischen Regierung und der PiS auseinandergesetzt hat. Sie sagte etwa über die Regierung in Warschau: „Wir haben Jahrzehnte für die Demokratie in Polen gekämpft, und jetzt wollen sie das wieder zerstören? Polen wird eine Diktatur, wenn das so weitergeht.“ Thun wird regelmäßig in regierungsnahen polnischen Medien und im Internet für ihre Kritik diffamiert. Jetzt bekommt sie erstmals Unterstützung. „Ich habe noch nie so viele Zeichen der Solidarität bekommen“, sagte die Abgeordnete aus Krakau. Sowohl vom PiS-kritischen Teil der gespaltenen polnischen Bevölkerung, als auch von den Kollegen im EU-Parlament bekommt sie Zuspruch. Daniel Caspary beispielsweise, Chef der deutschen CDU-Abgeordneten im EU-Parlament, richtete im Plenum die Rücktrittsforderung an Czarnecki – ausgerechnet dann, als dieser eine Parlamentssitzung in Straßburg leitete. „Jeder kann einmal einen schlechten Tag haben“, sagte Caspary. Czarnecki möge sich deshalb bitte entschuldigen oder zurücktreten. Czarnecki ließ ihn schlichtweg abblitzen. Seine Ausfälle aber werden ein Nachspiel haben. Mehrere Fraktionen im EU-Parlament haben ihn zum Rücktritt aufgefordert. Parlamentspräsident Antonio Tajani prüft weitere Schritte gegen Czarnecki. Denkbar ist etwa eine Geldstrafe. Auch öffentliche Auftritte im Namen des Parlaments oder die Sitzungsleitung könnte man ihm untersagen. Eine Entscheidung soll nächste Woche fallen.

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