Politik Wer weiß denn sowas?

Am Ende dieser Premierenvorstellung im Bundestag kann man etwas über den Humor der Bundeskanzlerin lernen. 30 Fragen werden ihr in dieser einen Stunde gestellt, meistens recht brave, ein oder zwei sind provokant. Aber alles in allem geht die Spannungskurve im Laufe dieser Einvernahme der Regierungschefin doch deutlich nach unten. Als es vorbei ist, schaut Merkel die Abgeordneten an und tröstet sie auf ihre Art: „So schade wie es ist, es ist halt zu Ende. Ich komm’ ja wieder.“ Es klingt ein bisschen so, wie einst Trickfilmheld „Paulchen Panther“ im Abspann gesungen hat: „Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?“ Die Erwartungen an das offiziell als „Befragung der Bundesregierung“ bezeichnete Format waren groß gewesen. Kein Wunder, denn bisher war dieser erste Tagesordnungspunkt zu Beginn der Sitzungswoche im Bundestag eine an phänomenaler Langeweile kaum zu steigernde Veranstaltung gewesen. Meist antworteten Staatssekretäre auf vorher schriftlich eingereichte Fragen zu den Themen der Kabinettssitzung. Politische Aussagen wurden vermieden, und das Zuhören wurde nicht einmal durch eine halbwegs nette Pointe belohnt. Die SPD war es, die in den Koalitionsverhandlungen die Befragung der Kanzlerin durchsetzte und auf das britische Unterhaus verwies, wo es Tradition ist, dass sich dort Chef oder Chefin der jeweiligen Regierung von der Opposition grillen lassen. Was in London eine höchst lebendige, meist lautstarke Sache ist, hat sich in Berlin indes als eher dröge erwiesen. Das liegt zum einen an den eher hausbackenen Fragen der Abgeordneten, zum anderen an der Routine der Kanzlerin, die zu allem und jedem etwas sagen kann, auch wenn es zuweilen inhaltsfrei erscheinen mag. Und selbst dann, wenn Merkels reiche Detailkenntnis aus 13 Amtsjahren an ihre Grenzen stößt, weiß sie sich zu helfen und erntet sogar Verständnis. Denn wer weiß schon alles? Nachfragen sind übrigens nicht erlaubt. Auch das ist ein Unterschied zum britischen Vorbild der „Prime Minister’s Questions“. Dass die Kanzlerin sich bei vergleichbaren Veranstaltungen bislang noch nie blamiert hat, wissen zumindest die Hauptstadtjournalisten, denen Merkel zwei Mal im Jahr in der Bundespressekonferenz Rede und Antwort steht. Abgesehen von einigen Bonmots und Versprechern schlug sich Merkel stets wacker durch einen Dschungel an Fragen quer durch alle Themen. Die Bundestagsabgeordneten hat es stets gestört, dass es eine vergleichbare Gelegenheit für sie nicht gibt. Nun also wird die Kanzlerin drei Mal im Jahr auch im Parlament im Kreuzverhör stehen. Und das mit dem Stehen ist wörtlich gemeint: Die Kanzlerin erhebt sich in ihrem mohnroten Blazer zu Beginn von ihrem Platz und setzt sich während dieser Stunde nicht wieder hin. Statt wie gewohnt am Rednerpult, spricht Merkel von der Regierungsbank. Die Kabinettsmitglieder, die sonst neben ihr sitzen, lassen sich alle durch Staatssekretäre vertreten und sitzen selbst in den Reihen ihrer Fraktionen. Es ist eine reine Merkel-Show. Ob es beim nächsten Mal auch wieder so voll wird im Plenum wie bei der gestrigen Premiere? Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble legt die Reihenfolge fest: Erst dürfen Fragen zum bevorstehenden G-7-Gipfel in Kanada gestellt werden, dann alle „sonschtigen“ Fragen, wie Schäuble es in breitem Badisch ausdrückt. Alle Fraktionen kommen reihum dran. Jeweils eine Minute darf ein Abgeordneter sein Wort an die Kanzlerin richten, bevor diese eine Minute Zeit hat, zu antworten. Merkel überzieht gelegentlich um ein paar wenige Sekunden, aber Schäuble lässt sie gewähren. Viele der Themen liegen auf der Hand: Was den G-7-Gipfel angeht, stehen Fragen zum weltweiten Handel an, ebenso zu den Differenzen mit Russland. Beim Thema EU dreht es sich vor allem um die Euro-Stabilisierung und die neue italienische Regierung. Nicht ausgespart werden natürlich auch die Probleme beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Erwartbar ist, dass die AfD hier am schärfsten die Kanzlerin angeht. Sie sei es gewesen, die die BAMF-Mitarbeiter zum „Rechtsbruch genötigt“ habe, „degradiert zu Marionetten einer Durchwinkekultur, die im Kanzleramt ihren Ausgang nahm“, zetert der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio, der gleich noch den Rücktritt der Kanzlerin fordert. Merkel reagiert gelassen und verweist auf die vom Europäischen Gerichtshof attestierte Rechtmäßigkeit des Handelns Deutschlands in einer humanitären Ausnahmesituation. Später, als ein anderer Fragesteller auf das BAMF zu sprechen kommt, wird Merkel für ihre Verhältnisse emotional. Sie weist vehement Vorwürfe gegen den früheren BAMF-Leiter Frank-Jürgen Weise zurück. Dieser habe sich in einer „außergewöhnlich schwierigen Situation“ bewährt. Auch FDP-Fraktionschef Christian Lindner wirkt angriffslustig. Er wirft Merkel vor, ihre Vorstellungen über eine Reform der EU in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ skizziert zu haben anstatt im Parlament. Lindner fordert eine Regierungserklärung. Auf Merkels Reformvorschläge habe Europa und Deutschland Monate gewartet. Dass diese nun nebenbei über die Medien lanciert würden, sei unangemessen. Merkel geht darauf nicht direkt ein, versichert aber, dass die Bürger beruhigt sein könnten: Finanzhilfen für schwächelnde Euro-Länder gebe es weiter nur gegen strenge Auflagen. Vieles hätte Merkel wohl noch sagen können, mangels Zeit geht das nicht. Aber: Sie kommt ja wieder.

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