Politik Westbalkan: Kandidatenländer kaum reif für EU-Beitritt

Zweifelhafter Favoritenstatus: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic mit Kanzlerin Angela Merkel beim Westbalkangipfel gestern in
Zweifelhafter Favoritenstatus: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic mit Kanzlerin Angela Merkel beim Westbalkangipfel gestern in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

Sechs Balkanländer wollen in die EU. Doch weder sie selbst noch Brüssel sind dafür gerüstet. Deshalb hat der Gipfel der Regierungschefs mit den EU-Spitzen gestern in Sofia die hohen Erwartungen, die es in der Region gibt, enttäuschen müssen. Europa bleibt für die Region noch in weiter Ferne.

Bulgariens Premier Boiko Borissow wollte den EU-Vorsitz, den sein Land noch bis Ende Juni innehat, mit dem Balkan-Gipfel krönen. Er bereiste alle sechs Kandidatenländer der Region – Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, das Kosovo und Albanien – und präsentierte sich als deren Fürsprecher. Sie seien bereit, „alle Regeln der europäischen Demokratie einzuhalten“. Im Übrigen gebe es zur europäischen Perspektive keine Alternative. In Thessaloniki 2003 war den Balkanländern erstmals eine Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt worden. Danach geschah wenig. Erst vor drei Monaten nannte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der 2014 noch einen Erweiterungsstopp verhängt hatte, ein konkretes Beitrittsjahr – 2025. Zugleich aber hat EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn 2025 als ein „sehr ehrgeiziges Ziel“ bezeichnet. Derzeit wäre keines der Kandidatenländer europareif. Nach dem Zerfall Jugoslawiens 1991 haben sich überwiegend autokratische, stark korrupte Systeme entwickelt. Die aus dieser Zeit stammenden eingefrorenen Konflikte und Krisen haben auch Einfluss auf die alten EU-Länder. So ist die EU in der Kosovo-Frage gespalten. Die fünf Mitgliedsländer, welche dem jüngsten Staat Europas die Anerkennung verweigern, haben wie Rumänien, die Slowakei und Spanien selbst Konflikte mit Minderheiten, oder sie haben wie Griechenland und Zypern Streit mit Nachbarn. Das Kosovo wird wegen des strittigen Status von Brüssel vorerst nur als „potenzieller Kandidat“ eingestuft. Dafür gibt es noch andere gravierende Gründe. So fordert die EU die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo. Doch der Dialog unter EU-Vermittlung wird seit Monaten von beiden Seiten blockiert. Zudem steckt der kleine Albanerstaat noch tief in seiner mafiosen Clan-Struktur, vor der sogar die EU-Aufsichtsmission Eulex kapituliert; sie wird Mitte Juni nach zehn Jahren aufgelöst – mangels Aussicht, rechtsstaatliche Prinzipien durchzusetzen. Serbien gilt als Beitrittsfavorit. Aber Präsident Aleksandar Vucic hält wenig von Demokratie und Rechtsstaat. Er hat ein autokratisches, korruptes Klientelsystem etabliert. Vucic gängelt die Justiz, schikaniert die Medien und schafft es dennoch, als pro-europäischer Pragmatiker zu gelten, der besonders die Sympathie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel genießt. Seine Regierung gilt fälschlicherweise als wichtigster Stabilitätsfaktor der Region. Dabei öffnet Vucic weit die Tore für Russlands geopolitische und Chinas wirtschaftliche Interessen, um so die EU unter Druck zu setzen. Kürzlich verbrüderte er sich auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ähnliche Sympathien in Brüssel genießt die Bergrepublik Montenegro, die der gerade gewählte Präsident Milo Djukanovic im Vorjahr gegen starken Widerstand Russlands in die Nato geführt hat. Djukanovics Erfahrung ist: Solange er als verlässlicher Partner des Westens gilt, akzeptiert dieser seinen Mafiastaat, als dessen oberster Pate er selbst gilt. Völlig offen ist, ob Bosnien-Herzegowina 2025 als Staat überhaupt noch existiert. Die vom Krieg Anfang der 90er Jahre ethnisch zerrissene Vielvölkerrepublik erweist sich zunehmend als unregierbar. Der serbische Landesteil ist antiwestlich und prorussisch, und die im Prinzip proeuropäische Föderation ist ein inhomogenes islamisch-christliches Konstrukt, das unter dem Einfluss der Türkei immer brüchiger wird. Mazedonien ist ein Lichtblick der Region. Nach der Abwahl des korrupten, prorussischen Nationalistenregimes ist der Kleinstaat wieder auf Europakurs, auch wenn die innenpolitische Lage labil bleibt. Premier Zoran Zaev will den jahrzehntelangen Streit mit Griechenland um den Landesnamen beilegen. Zaev verkündete gestern, dass er sich mit seinem griechischen Gegenüber Alexis Tsipras auf eine Lösung geeinigt habe. Tsipras indes sagte, er sei noch „nicht in der Lage“, eine Einigung zu verkünden. Kandidat ist Mazedonien seit 2005. Auch Albanien ist nach einer Justizreform auf gutem Weg. Doch muss die korrupte politische Kaste noch lernen, mehr für das Gemeinwohl zu arbeiten als für die eigene Tasche.

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