Meinung Zeitenwende in Zeitlupe

Seit bald zwei Jahren Verteidigungsminister: Boris Pistorius.
Seit bald zwei Jahren Verteidigungsminister: Boris Pistorius.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat Kanzler Olaf Scholz große Versprechungen für die Entwicklung der Bundeswehr gemacht. Doch die Zweifel wachsen.

Unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das große Wort der Zeitenwende. In seiner Rede vor dem Bundestag, drei Tage nachdem Wladimir Putin einen Angriffskrieg in Europa begonnen hatte, sagte der Kanzler treffend, dies markiere „eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.“ Im Kern gehe es darum, ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. Der Aggressor im Kreml wolle nicht nur ein unabhängiges Land von der Landkarte tilgen, sondern die Verhältnisse in Europa mit militärischer Gewalt nach seinen Vorstellungen grundlegend neu ordnen und ein russisches Imperium errichten.

Die Lage Ende Februar 2022 erhielt eine besondere Dringlichkeit allerdings auch durch eine Fehleinschätzung: Damals glaubte man noch, dass die Ukraine binnen weniger Wochen vollständig in die Hände des russischen Aggressors fällt. Das setzte Dinge in Bewegung, die Jahrzehnte für unmöglich gehalten wurden. Etwa ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, das der Bundestag parteiübergreifend praktisch aus dem Stand lockermachte.

Ehrgeizige Ziele für die Bundeswehr

Scholz lieferte mit dem Begriff Zeitenwende aber nicht nur eine nach wie vor zutreffende Einordnung von Putins Überfall auf die Ukraine. Er setzte damit auch ehrgeizige Ziele für die Bundeswehr. Für unsere Sicherheit brauche sie neue, starke und zuverlässige Fähigkeiten. Das erfordere eine große nationale Kraftanstrengung. Deshalb werde Deutschland von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung investieren, versprach Scholz. Und hat sich dazu der Nato gegenüber vertraglich verpflichtet.

Doch die Wucht des Aufbruchs verpuffte rasch: Unter der damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) geschah dann ein Jahr lang reichlich wenig, bis sie Anfang 2023 wegen Unfähigkeit von Boris Pistorius (SPD) abgelöst wurde. Dann begann sich in den Streitkräften schnell sehr viel zu bewegen. Kampfjets, Transporthubschrauber und Panzer werden angeschafft. Pistorius packt das heikle Thema Wehrpflicht an und baut die Bundeswehr um.

Ziemlich unsichere Zukunft

Doch inzwischen wachsen die Zweifel, ob die Ampel das dringend notwendige Momentum aufrechterhalten kann. In diesem Jahr schafft Deutschland erstmals mit Ach und Krach das seit 2014 versprochene Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben. Aber nur weil ein Teil des Sondervermögens mit angerechnet wird. Der eigentliche Verteidigungshaushalt wächst in den kommenden Jahren nur minimal. Sehr zum Unwillen von Pistorius, der 3 bis 3,5 Prozent des BIP für notwendig hält. Ist das Sondervermögen ausgegeben, bricht ab 2027 eine absurd große Lücke in den Verteidigungsausgaben auf. Der Etat müsste auf einen Schlag um 20 bis 30 Milliarden Euro ansteigen, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Es ist völlig unklar, woher dieses Geld kommen soll.

Ein belastbarer Ausblick für die Sicherheit Deutschlands und Europas sieht so jedenfalls nicht aus. Mit einem Strohfeuer wird die Bundeswehr nicht abwehrbereit. Die Zeitenwende bedeutet für die Sicherheit Deutschlands: ja, einen Aufbruch, aber in eine ziemlich unsichere Zukunft.

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