Games Was vom Hype übrig bleibt

Viel Platz zum Austoben, aber auch viel Sucherei: Die Welt von „Breath of the Wild“.
Viel Platz zum Austoben, aber auch viel Sucherei: Die Welt von »Breath of the Wild«.

Link tritt gegen die Kiste, die erst nur ein bisschen aufspringt, kurz hakt und dann vollständig hochklappt. Jetzt offenbart sich ihr Inhalt: Ein silberner Edelstein, den Link stolz in seinen Händen hält. Die den Fans allzu vertraute „Da-Da-Da-Da“-Melodie im Hintergrund begleitet die Szene. Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Auch nicht nach mehr als 30 Jahren, die es die „The Legend of Zelda“-Reihe schon gibt. Das Öffnen der Schatztruhen ist noch immer ein festes Ritual, auch bei „Breath of the Wild“ (BotW). Vor rund einem Jahr erschien das Spiel, das mehrfach zum Spiel des Jahres 2017 gekürt wurde und inzwischen zwei Erweiterungen mit zusätzlichen Inhalten erhalten hat. Der Starttitel der Nintendo Switch ist ein riesiger Erfolg: Mehr als sieben Millionen mal hat sich das Spiel verkauft, fast jeder zweite Switch-Besitzer nennt BotW sein Eigen. Im ersten Monat hatte sich das neue Zelda gar eine Million Mal öfter verkauft als die Switch – damals war die Konsole überall ausverkauft. Eine Million Menschen hatten sich also das Spiel gekauft, ohne es spielen zu können. Der Hype war riesig. Den Fans der Serie wird es offenbar nie langweilig, dieselbe Geschichte wieder und wieder zu erleben: Ein blonder Jüngling macht sich mit Schwert und Bogen auf, um die Prinzessin aus den Fängen eines ultimativen Schurken zu retten und das Königreich Hyrule vor dem Untergang zu bewahren. Die Zelda-Anhängerschaft ist aber gespalten zwischen Tradition und Innovation. Neues schreckt Traditionalisten ab, wie etwa 2002, als mit „The Wind Waker“ (Nintendo Gamecube) ein Zelda im Cartoon-Look statt in realem Grafikstil herauskam. Diejenigen, die nach neuen Ideen gieren, freuen sich über so etwas. Nintendo muss jedoch immer den Spagat zwischen beiden Gruppen schaffen. BotW ist da einer der mutigsten Serienteile: Die Welt ist der Star, weil sie frei erkundbar ist und dem Spieler kaum Grenzen setzt. Link kann jeden Baum fällen und zu Holzbündeln verarbeiten; er kann jeden Fisch im Fluss fangen und ihn an Kochplätzen zusammen mit Reis und Gemüse zubereiten. Er kann auf seinem Schild einen Hügel runterrutschen oder ein wildes Pferd zähmen. Zelda bot dem Spieler nie so viele Freiheiten. Der Vorgänger etwa, „Skyward Sword“ (2011, Nintendo Wii), hatte eine geschlossene Spielwelt. Es gab tunnelhafte Abschnitte, die nur Verbindungen zwischen den Ortschaften waren. Bei BotW kann der Spieler theoretisch von Anfang an überall hin. Das Einzige was ihn hindert, nicht alles sofort sehen zu können, ist die Stärke der Spielfigur, dem grünbemützten Link. Je stärker er wird, desto mehr vom Königreich kann er erkunden, beispielsweise Berge hochklettern. Für Zelda-Fans mag die offene Spielwelt innovativ erscheinen, dem Branchen-Trend rennt man damit hinterher: Auf anderen, leistungsfähigeren Plattformen, sind Open-World-Spiele längst die Regel. Die mangelhafte Leistungsfähigkeit der Wii wurde bei „Skyward Sword“ genau damit kaschiert, dass das Spiel eben geschlossene Abschnitte hatte. Die Entscheidung einer offenen Spielwelt ist nicht die einzige gewichtige Änderung, die für Wirbel sorgte: Waffen nutzen sich ab und müssen immer wieder neu gefunden werden; das Kochen von Essen ist keine Spielerei, die Gerichte haben Effekte wie Schutz vor Wärme oder Kälte; Kleidungsstücke können verbessert werden, sodass sie Link schneller klettern oder schwimmen lassen und widerstandsfähiger machen. Alles Anleihen aus dem Rollenspiel-Genre. Zelda ist nun kein klassisches Action-Adventure mehr. Die einschneidendste Änderung aber: Das Dungeon-Design wurde geopfert. 120 kleine Schreine kann der Spieler finden, einige davon gut versteckt. Die Belohnungen aus diesen Mini-Dungeons machen Link stärker, und ohne eine gewisse Anzahl der Tempel geschafft zu haben, ist es nicht möglich, den Bösewicht aus Schloss Hyrule zu jagen. Klassische Tempel mit unzähligen Räumen, ausgeklügelten Rätseln und einer klaren Thematik wie Wasser oder Feuer, gibt es nicht mehr. Sie waren immer ein Aushängeschild der Serie. Doch in der riesigen Welt von BotW gilt es viel Platz zu füllen. 120 kleine Tempel machen da den besseren Eindruck. Wer frustriert an einer Stelle hängenbleibt, dem wird nicht das Weiterkommen im Spiel verbaut. Er kann an anderer Stelle weitermachen. Noch heute ist der Wassertempel aus „Ocarina of Time“ (1996, Nintendo 64) für sein hohes Frustpotenzial berüchtigt. Wer ihn nicht löste, kam auch im Spiel nicht voran. Doch die Größe von BotW ist auch ein Fluch: Die Laufwege sind, trotz Teleportation, sehr lang, die Suche nach einem Schrein kann der nach der Nadel im Heuhaufen gleichkommen. Statt Spielspaß stellt sich dann das Gefühl ein, seine Zeit zu verplempern. Es ist frustrierend, mehr als eine halbe Stunde nach einem bestimmten Gegenstand zu suchen. So viele Freiheiten BotW dem Spieler bietet, so wenig Anleitung legt es dafür bereit. Es gibt Spieler, die haben bis kurz vor Spielende keine der Feen entdeckt, die wichtig sind, weil sie die Kleidung verstärken. Es gibt Spieler, die auch nach mehr als 70 Spielstunden nicht bemerkt haben, wofür die Krog-Samen nützlich sein sollen, von denen 900 im Spiel versteckt sind: Die Samen können nur bei einer einzigen Spielfigur eingetauscht werden und erhöhen die Anzahl der Gegenstände, die gleichzeitig im Rucksack verstaut werden können. BotW fordert mehr Mitdenken vom Spieler ein als jedes andere Zelda. Oft hatte Link einen Begleiter – eine Fee, die ihn auf gewisse Dinge aufmerksam machte, eine Eule, die ihm geduldig wichtige Zusammenhänge erklärte. Die Serie ist damit selbst erwachsener geworden, so wie die Fans, die seit den 80ern oder 90ern dabei sind. Nintendo ist das Experiment zwar gelungen, auch wenn sich im Langzeit-Test Ermüdungserscheinungen einstellen. Für ein nächstes Zelda wird Open World allein nicht tragen. Doch egal, wie zukünftige Spiele der Serie aussehen: Link wird wieder gegen jede Menge Schatzkisten treten ...

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