Reise Wie die Tulpe nach Holland kam: zu Besuch in Leiden

Grachten im herbstlichen Leiden
Altholländischer Charme: Leiden wir auch als »Klein-Amsterdam« gepriesen.

Rembrandt wurde hier geboren, hier steht die älteste Uni des Landes, und dann importierte ein Botaniker folgenreich einst eine Zwiebel. Stadtrundgang durch Leiden, das auch als «Klein-Amsterdam» gilt.

Leiden (dpa/tmn) - Am 3. Oktober ist in Leiden alles anders. Dann feiern die Bewohner der niederländischen Stadt ein Fest, das auf eine folgenreiche Geschichte zurückgeht. Schon am frühen Morgen werden Tausende vor der alten Stadtwaage Schlange stehen.

Normalerweise werden in dem historischen Gebäude, das ein Restaurant beherbergt, Kroketten, Käseplatten und andere leckere Dinge serviert. Doch am 3. Oktober wollen alle nur Brot und Heringe. Haben die Honoratioren der Stadt den Hering für gut befunden, dann öffnet Manager Jip Hoogland die Tür. Versorgt werden allerdings nur Leidener, und das auch nur, wenn sie sich registrieren lassen haben.

Auch Edo Elstak hat an diesem Tag ein straffes Programm. Nicht weil er wie sonst Gäste durch Leiden führt, sondern weil er diesen lokalen Feiertag angemessen begehen will. Schon frühmorgens kleidet er sich in den Farben der Stadt: Rot und Weiß. 

Dann wird gesungen, am Rathaus zum Klang von Fanfaren, in einem Park und beim Gottesdienst in der Pieterskerk, der zentralen Kirche in Leiden. Erst danach genießt auch Elstak sein Brot mit zwei Heringen, aus historischen Gründen, versteht sich.

Das Ende einer Belagerung

Warum ganz Leiden regelmäßig am 3. Oktober und dieses Jahr besonders aus dem Häuschen ist, erklärt sich mit einem Ereignis, das 450 Jahre zurückliegt: Am gleichen Tag im Jahr 1574 zogen die spanischen Belagerer ab – Wilhelm der I., Prinz von Oranien, hatte die Deiche bei Rotterdam durchstechen lassen. Der Wind trieb das Wasser nach Leiden, die Spanier bekamen nasse Füße.

Während der Belagerung starben rund 6.000 Leidener, ein Drittel der Bevölkerung, viele verhungerten. Nun zogen die Wassergeusen, die an der Seite von Wilhelm von Oranien für die Unabhängigkeit der Niederlande kämpften, in die Stadt ein – und verteilten Brot und Heringe. Außerdem konnten sich die Leidener über einen großen Topf mit Hutspot hermachen, einem Gericht aus Karotten, Zwiebeln und Pastinaken. 

Ein Waisenjunge, so die Legende, hatte den Topf vor den Stadttoren gefunden, die Spanier hatten ihn bei ihrer übereilten Flucht zurückgelassen. Noch heute wird das Gericht traditionell am 3. Oktober gegessen. Schon am Vorabend «riecht ganz Leiden nach Hutspot», sagt Gästeführer Elstak. Nur dass die Pastinaken mittlerweile durch Kartoffeln ersetzt worden sind – die waren damals in den Niederlanden noch unbekannt.

Universitäts-Pionier Leiden

Und doch sollte man Leiden nicht unbedingt am 3. Oktober besuchen. Der oft gelobte «altholländische» Charme der Stadt, die auch als «Klein-Amsterdam» gepriesen wird, lässt sich an einem der anderen 364 Tage des Jahres leichter entdecken. Zum Beispiel bei einer knapp einstündigen Bootsfahrt auf den Grachten, bei der man wegen der vielen Brücken immer wieder den Kopf einziehen muss.

Oder aber man schließt sich einer Führung von Edo Elstak an. «Nichts ist weit in Leiden», sagt der 75-Jährige. Seine Runde führt unter anderem an der Universität vorbei. Glaubt man einer Geschichte, die sie in Leiden gern erzählen, dann durften die Leidener zum Dank für ihren erfolgreichen Widerstand gegen die Spanier wählen: entweder eine langjährige Abgabenfreiheit oder eine Universität.

Die Geschichte ist gut, findet auch Elstak, und doch war es wohl eher so, dass Wilhelm von Oranien gut ausgebildete Beamte brauchte. Und dass der neue protestantische Glaube Theologen benötigte, die ihn verkünden konnten. Auch gab es damals schon einen Fachkräftemangel in der Medizin. Jedenfalls wurde am 8. Februar 1575 die Universität Leiden gegründet, die erste in den Niederlanden. Und weil die Mediziner Heilpflanzen brauchten, wurde bald darauf ein Botanischer Garten angelegt – auch das eine Investition in die Zukunft, wie sich noch zeigen sollte. 

Unter den Gelehrten, die dem Ruf der Uni folgten, war Carolus Clusius, der berühmteste Botaniker seiner Zeit. Im Oktober 1593 kam er nach Leiden, im Gepäck eine Rarität: Tulpenzwiebeln. Tulpen, eigentlich in Ländern wie Kasachstan zu Hause, waren über die Türkei nach Wien gelangt. Dort hatte Clusius sie kennengelernt. Nun brachte er sie in Leiden aus.

Die erste Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte

Im Frühjahr 1594 blühte die erste Tulpe, rot-gelb gestreift. Sie wurde auf den Namen «Sommerschön» getauft, erzählt Carla Teune. Die 81-Jährige arbeitet seit 57 Jahren im Botanischen Garten, inzwischen ehrenamtlich – eine fachkundigere Gästeführerin gibt es vermutlich in ganz Holland nicht.

Von Leiden aus startete die Tulpe ihren Siegeszug. Binnen kurzer Zeit wurden speziell gestreifte Tulpen zu einem begehrten Handelsobjekt. Die Preise erreichten astronomische Höhen, eine einzige Zwiebel kostete so viel wie ein ganzes Haus. Im Februar 1637 brach der überhitzte Markt zusammen – das Ende der «Tulpenmanie», der ersten Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte.

Die Tulpe ist geblieben, ein Symbol für Holland wie die Windmühle oder der Käse. Von Ende März bis Mitte Mai lockt die Blütenpracht rund 1,4 Millionen Menschen in den Keukenhof bei Leiden. Die Tulpe fand auch Eingang in die Kunst, Beispiele lassen sich im Mauritshuis im nahen Den Haag studieren.

Wobei ausgerechnet der bekannteste Maler aus Leiden die Tulpe weitgehend ignoriert hat: Rembrandt. Das Haus, in dem er als neuntes Kind eines Müllers geboren wurde, stand ein paar Meter weiter rechts von dem Bau, an dem heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. Aber die Lateinschule, auf der der junge Rembrandt seine ersten Skizzen fertigte, ist noch da. Und auch das Haus, in dem Jacob van Swanenburgh lebte, sein erster Lehrer.

Es beherbergt heute das «Young Rembrandt Studio», in dem ein 3D-Video in nur sieben Minuten die wichtigsten Stationen im Leben des jungen Rembrandt beleuchtet. Im Alter von 25 Jahren zog es ihn nach Amsterdam. Einige seiner Werke sind im Museum «De Lakenhal» zu sehen. Es ist nur eines von 13 Museen in Leiden. Schlechtes Wetter ist also noch lange kein Grund, nicht nach Leiden zu fahren. Warten wir nur den 3. Oktober noch ab.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Leiden liegt zwischen Amsterdam und Den Haag, unweit der Nordsee.

Beste Reisezeit: Ganzjährig, es sei denn, man möchte zur Tulpenblüte im Keukenhof (Ende März bis Mitte Mai).

Anreise: Gute Anbindung ans Bahnnetz. Vom 30 Kilometer entfernten Flughafen Amsterdam-Schiphol sind es nur rund 20 Minuten. Mit dem Auto fährt man ab Berlin zwischen sieben und acht Stunden, ab Hamburg fünfeinhalb und ab München rund zehn Stunden.

Aktivitäten: Geführte Gruppen-Spaziergänge kosten ab 125 Euro; auch eine spezielle «3. Oktober 1574 Führung» ist im Angebot. Wer individuell umherspazieren möchte, kann zur Orientierung thematische Broschüren beim Fremdenverkehrsamt VVV erwerben. Einstündige Rundfahrten mit dem E-Boot kosten bei «Bootjes en Broodjes» regulär 12,50 Euro pro Person (Kinder: 7,50 Euro). Ein anderer Anbieter von Stadtrundfahrten auf dem Wasser ist zum Beispiel Rondvaartleiden.

Weitere Auskünfte, auch zu Unterkünften und thematischen Stadtrundgängen: visitleiden.nl

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